10. Konrad Ferdinand ITleyer.
Konrad Ferdinand Meyer wurde am 12. November 1825 zu Zürich als Sohn des Regierungsrats
Ferdinand Meyer geboren. Früh verlor er den Vater und wuchs seitdem unter dem Einfluß der geistig be¬
deutenden Mutter aus. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und studierte dann an der dortigen
Universität die Rechte, widmete sich aber gleichzeitig philologischen und geschichtlichen Studien, die freilich durch
Krankheit mehrfach unterbrochen wurden. Seinen Gesichtskreis erweiterte er durch mannigfaltige Reisen, be¬
sonders hielt er sich länger in Lausanne, Genf und Paris auf, durchkreuzte zweimal Italien (Winteraufenthalt
in Rom, Florenz, Ajazzio), lernte Graubünden kennen und machte Ausflüge nach Deutschland.
Seine lange schwankende Gesundheit schloß die Übernahme eines Amtes aus, und unabhängige Vcr-
mögensverhältnisse erlaubten ihm ein Leben ganz für seine geschichtlichen und künstlerischen Neigungen. Von
Haus aus französisch gebildet — auch das Italienische beherrschte er wie seine Muttersprache — wandte er sich
dem Deutschen erst wieder zu, als er sich in Seehof-Meilen bei Zürich niederließ (Balladen 1867). Der deutsch-
französische Krieg 1870—71 brachte ihm dann volle Klarheit über die Überlegenheit der deutschen Bolksart, Kultur
und Sprache gegenüber dem romanischen Wesen. Das Ergebnis dieser Erkenntnis sind „Huttens letzte Tage"
<1871). 1877 erwarb er sich eine Besitzung in Kilchberg bei Zürich, und seitdem Jahre 1879 pflegte er sich nach dem
Stammnamen seiner Frau, einer Tochter des Generals Ziegler, „Meyer-Ziegler" zu nennen. Dem berühmten
Sohne der Stadt verlieh die Universität Zürich 1880 den philosophischen Ehrendoktor. Bon einem schweren
Gehirnleiden, das 1892 sogar seine Überführung in die Heilanstalt Königsfelden bei Brugg nötig machte, erholte
er sich schon nach wenigen Monaten, sodaß er bis zu seinem Tode voller Schaffenskraft in seinem lieben Kilch¬
berg verweilen konnte. Er erlag am 28. November 1898 einem Schlagfluß.
Außer den angegebenen Werken und seinen Gedichten (1882) verdankt er seine Berühmtheit besonders
seinem Roman „Jürg Jenatsch" (1876) und einer Reihe vollendeter Novellen (Das Amulet, Der Schuß von der
Kanzel, Der Heilige, Plautus im Nonnenkloster, Gustav Adolfs Page. Das Leiden eines Knaben, Die Hochzeit
des Mönchs, Die Richterin, Die Versuchung des Pescara, Angela Borgia).
365. Das tote Kind.
s hat den Garten sich zum Freund gemacht,
E' dann welkten es und er im Herbste sacht,
die Sonne ging und es und er entschlief
gehüllt in eine Decke weiß und tief.
2. Jetzt ist der Garten unversehns erwacht,
die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht.
„Wo steckst du?" summt es dort und summt es hier.
Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr.
3. Die blaue Winde klettert schlank empor
und blickt ins Haus: „Komm hinterm Schrank hervor!
Wo birgst du dich? Du tust dir's selbst zu leid!
Was hast du für ein neues Sommerkleid?"