Full text: Neuere Zeit vom Westfälischen Frieden bis zur Gegenwart (Bd. 2)

§ Hl- Napoleons Zug gegen Rußland 1812. 
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das gläubige Volk erkannten in Napoleon nur mehr ihren Feind, seit er sich des 
Kirchenstaates bemächtigt und den Papst Pius VII. (erst zu Savona bei Genua, 
später in Fontainebleau) gefangen hielt. Auch die Ehescheidung und Wieder- 
Vermählung des Kaisers hatte eine mißfällige Aufnahme und Beurteilung ge- 
funden. 
b) Noch ungünstiger war die Stimmung außerhalb Frankreichs. Die 
Spanier, Italiener und Holländer waren über die Kontinentalsperre, über die 
militärischen Aushebungen und die sonstigen Lasten erbittert und wurden unver- 
söhnliche Feinde ihres Zwingherrn. In Deutschland, namentlich in Preußen, 
arbeiteten patriotische Staatsmänner im stillen am künftigen Befreiungswerke; 
Dichter und Schriftsteller erwärmten die Jugend mit neuer Vaterlandsliebe. Selbst 
fürstliche Persönlichkeiten, die dem Machthaber anderweitig nahe gestanden, be- 
kannten sich offen als dessen Gegner, wie der feurige Kronprinz Ludwig von 
Bayern. Der Heldenmut der Tiroler, die Siege der Spanier, £>er ungebeugte 
otolz der Engländer dienten der franzosenfeindlichen Stimmung zu weiterer Be- 
stärkung. Endlich wagte es Rußland, der Gewaltherrschaft des Einen Trotz zu 
bieten. Über solche Widerspenstigkeit sollte ein vernichtendes Strafgericht ergehen. 
§ 111. 
NaPoleons Zug gegen Rußland 1812. 
Vgl. Karte IX. 
1. Z>ie Werfeindung zwischen Irankreich und Nußtand. Der 
Eigennutz hatte Frankreich und Rußland seit 1807 zur gemeinsamen 
Teilung der Weltherrschaft verbunden. Ihre Freundschaft schlug in 
bittere Verfeindung um, seitdem der Zar die Bevormundung, welche 
Napoleon auch gegen Rußland zu üben begann, abzuschütteln versuchte. 
Alexander I. hatte durch den Frieden von Tilsit freie Hand gewonnen, den 
Schweden Finnland (1809) und den Türken Befsarabien (1812) abzunehmen. 
Andererseits brachte das Bündnis mit Napoleon dem russischen Staate alle Nach- 
steile der Kontinentalsperre; nicht minder verdroß in Petersburg das maßlose Um- 
sichgreifen der Napoleonischen Macht, namentlich die Vertreibung des dem russi- 
scheu Kaiserhause nahe verwandten Herzogs von Oldenburg, die Vergrößerung 
des Herzogtums Warschau und die fortdauernde Besetzung preußischer Festungen 
durch französische Truppen. Alles das ließ endlich dem Zaren, der gegen 
Napoleon seit der Ablehnung des Ehebündnisses mit seiner Schwester auch per- 
sönlich verstimmt war, die Aufhebung des Kontinentalfystei»s und die Absage 
an Frankreich als eine Pflicht der Selbsterhaltung erscheinen. Durch Vermitt¬ 
lung des (adoptierten) schwedischen Kronprinzen Bernadette trat Rußland in ein 
freundschaftliche^ Einvernehmen mit England und Schweden und traf seine 
Vorkehrungen für eine große Waffenentfcheitmng. 
2. Der Ausmarsch der großen Armee. Napoleon scheute vor den 
Gefahren eines doppelten Krieges nicht zurück. Während er in Spanien 
(durch König Joseph und die Generäle Marmont, Soult und Jonrdan) 
den Kamps gegen die Engländer fortsetzen ließ, rüstete er gegen Rußland 
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