Aus der Tiersage.
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„Herr, ich wäre unklug, wenn ich jetzt irgend ein Wort spräche,
das ich nicht sofort beweisen könnte."
Da meinte der König, es wäre so, und vergab Reineke alles zu¬
sammen, erst die Bosheit seines Vaters und sodann auch seine eigene
Schuld. Da ward der Fuchs über die Maßen froh, wie das auch gar
nicht anders sein konnte; denn er war aus dem Tode gerettet, der ihm
schon so gut wie gewiß war.
Darum sprach er:
„O König, edler Herr, Gott möge Euch und meine Herrin um
dieser Ehre willen belohnen, die ihr mir erweiset. Ich will daran
gedenken und Euch höflich dafür danken. Denn in allen Landen und
Reichen lebt jetzt keiner unter der Sonne, dem-ich den Schatz lieber
gönnte als euch beiden, die ihr es so wohl um mich verdient habt.
Ich gebe ihn euch ohne allen Verdruß so frei, wie ihn König Ermenrich
besessen hat. Nun will ich euch sagen, wo er liegt, und will die Wahr¬
heit nicht verschweigen. Im Osten von Flandern, hört wohl zu, da
liegt eine große Wüstenei; da ist ein Gehölz, das heißt Husterlo, und
da ist ein Brunnen, der heißt Krakelput, versteht Ihr wohl, gnädiger
Herr? Der liegt nicht weit davon entfernt; dahin kommt im ganzen
Jahre weder Weib noch Mann, — so groß ist die Wildnis dort — als
höchstens die Eule und der Uhu. Herr, dort liegt der Schatz verwahrt.
Der Ort selbst heißt Krakelputte, versteht mich wohl, es ist Euch
nützlich, wenn Ihr Euch die Namen recht genau merkt. Dorthin müßt
Ihr und meine Herrin Euch aufmachen; denn ich kenne keinen so Ge¬
treuen, daß Ihr ihn als Boten schicken könntet. Wenn Ihr an Krakel¬
putte vorbei seid, werdet Ihr bald zwei junge Birken finden, merkt
Euch das ja, Herr König, die dicht an dem Borne stehn. Zu den
Birken geht, gnädiger Herr, unter denen liegt der Schatz begraben.
Dort müßt Ihr im Moose kratzen und scharren, dann werdet Ihr
manches schöne und reiche Goldgeschmeide finden, dazu auch die Krone,
die König Ermenrich in seinen Tagen getragen hat und die Braun
getragen haben würde, wenn sein Wille geschehen wäre. Herr König,
wenn Ihr diese Reichtümer habt, werdet Ihr noch oft in Eurem Herzen
denken: „O Reineke, getreuer Fuchs, der du mit deiner List und
Klugheit einen solchen Schatz in dieses Moos vergraben hast, Gott gebe
dir allewege Ehre!"
Der König sagte:
„Hört, Reineke, Ihr müßt mit mir reisen. Ich kann die Stelle
allein nicht finden. Ich habe wohl Aachen, Lübeck, Köln und Paris
nennen hören; aber wo Husterlo und Krakelput ist, davon habe ich nie
zuvor etwas gehört. Ich fürchte, es ist nur eine von Euren Schnurr¬
pfeifereien."
Das hörte Reineke ungern und sagte: „Herr, mit Unrecht habt
Ihr mich in so üblem Verdachte; ich weise Euch ja nicht in weite Ferne