§ 13. Die Kultur des Zeitalters Friedrichs des Großen. 87
ordens, dessen Unbengfamkeit sein General Ricci mit den Worten „sint
nt sunt aut non sint“ erhärtete. Die Reformversuche jener großen
Männer scheiterten aber daran, daß ihre Thätigkeit, von edler Fürstenlaune
ausgehend, mit dem Thronwechsel ein Ende hatte, daß sie ferner, da sie
dies vor Augen hatten, sich nicht die Zeit nehmen konnten, die Reformen
organisch zu entwickeln, und daß deshalb das Volk, in seiner Unwissenheit
für sie nicht reif, vielfach selbst sich den Wohlthaten widersetzte. Ganz
verfehlt war der Reformversuch des vom Leibarzt König Christian VII.
von Dänemark zum allmächtigen Minister emporgestiegenen Struensee,
des Günstlings der jungen Königin Karoline Mathilde Er versuchte,
unter völliger Mißachtung des dänischen Nationalgefühls, mit 600 deutschen
Kabinettsbefehlen Rechtspflege, Verwaltung und Agrarverfaffung in Däne¬
mark zu reformieren, und endete, durch eine Adelsverschwörung gestürzt,
als Hochverräter unter dem Henkerbeil.
§ 13. Die Kultur des Zeitalters Friedrichs des Großen.
Nachdem man ein Jahrhundert gebraucht, um sich aus dem schlimmsten
Elend, das der dreißigjährige Krieg gebracht hatte, wieder herauszuarbeiten,
wurden jetzt in großen Teilen Deutschlands in der Landwirtschaft, die
noch 70% der Bewohner beschäftigte, und in der Industrie Fortschritte
sichtbar. Neue Kulturen (Kartoffeln, feines Obst, Tabak) verbreiteten sich
und technische Fortschritte wurden gemacht. Die Porzellanmanufaktur und
Seidenindustrie blühten auf, die Baumwollindustrie siedelte sich an. Sachsen
war das gewerblichste Land. Die deutschen Seestädte, voran die Hanse¬
städte Bremen und Hamburg, und aus dem Binnenlande Herrenhuter ge¬
wannen einen bescheidenen Anteil am überseeischen Handel.
Aber das Kunstgewerbe war in tiefem Verfall. Die sklavische Ab¬
hängigkeit von Frankreich dauerte fort; sein Rokoko, die Übertreibung der
Verzierung in naturwidrige Schnörkelei, beherrschte alle Produktion, sowohl
die in Porzellan, welche die Führung hatte, wie die in Holz, Eisen, Bronze,
Silber uO Gold. Die Vergoldung und Versilberung, mehr dem prunkenden
Scheine als der malerischen Wirkung dienend, machte sich breit. Nur die
Schmiedekunst leistete auch jetzt noch Tüchtiges. Auch die Häuser baute
man solider und stattete sie reicher und zu größerer Bequemlichkeit aus.
In dem städtischen Mittelstände, dessen Wohlstand sich hob, lebte man
gleichmäßiger und besser als zuvor. An die Stelle der unwürdigen Unter¬
würfigkeit gegen Höhergestellte trat eine etwas freiere, selbständigere Haltung.
Denn der nationale Geist, der politischen und materiellen Kultur
weit vorauseilend und ihre Hebung vorbereitend, nahm einen mächtigen
Aufschwung, weniger freilich in der Naturwissenschaft als in der Philosophie
und besonders in den Künsten. Die deutsche Dichtkunst, durch Lessing von
französischen Fesseln befreit, erhob sich über Klopstock und Wieland hinaus
in den herrlichen Schöpfungen Goethes und Schillers zur höchsten Schön¬
heit: in vollendeter Form stellte sich reichster und tiefster Gehalt dar. Da
das nationale Leben, der Einheit und Größe ermangelnd, keinen festen
Scheitern
der Reform
von oben.
Das Abenteuer
Struensees
1770—1772.
Landwirtsckast
und Industrie
in Deutschland.
Überseeischer
Handel.
Verfall des
Kunstgewerbes
Geistiger
Aufschwung.