Full text: Neuere Geschichte von 1648 - 1888 (Teil 9)

§ 13. Die Kultur des Zeitalters Friedrichs des Großen. 87 
ordens, dessen Unbengfamkeit sein General Ricci mit den Worten „sint 
nt sunt aut non sint“ erhärtete. Die Reformversuche jener großen 
Männer scheiterten aber daran, daß ihre Thätigkeit, von edler Fürstenlaune 
ausgehend, mit dem Thronwechsel ein Ende hatte, daß sie ferner, da sie 
dies vor Augen hatten, sich nicht die Zeit nehmen konnten, die Reformen 
organisch zu entwickeln, und daß deshalb das Volk, in seiner Unwissenheit 
für sie nicht reif, vielfach selbst sich den Wohlthaten widersetzte. Ganz 
verfehlt war der Reformversuch des vom Leibarzt König Christian VII. 
von Dänemark zum allmächtigen Minister emporgestiegenen Struensee, 
des Günstlings der jungen Königin Karoline Mathilde Er versuchte, 
unter völliger Mißachtung des dänischen Nationalgefühls, mit 600 deutschen 
Kabinettsbefehlen Rechtspflege, Verwaltung und Agrarverfaffung in Däne¬ 
mark zu reformieren, und endete, durch eine Adelsverschwörung gestürzt, 
als Hochverräter unter dem Henkerbeil. 
§ 13. Die Kultur des Zeitalters Friedrichs des Großen. 
Nachdem man ein Jahrhundert gebraucht, um sich aus dem schlimmsten 
Elend, das der dreißigjährige Krieg gebracht hatte, wieder herauszuarbeiten, 
wurden jetzt in großen Teilen Deutschlands in der Landwirtschaft, die 
noch 70% der Bewohner beschäftigte, und in der Industrie Fortschritte 
sichtbar. Neue Kulturen (Kartoffeln, feines Obst, Tabak) verbreiteten sich 
und technische Fortschritte wurden gemacht. Die Porzellanmanufaktur und 
Seidenindustrie blühten auf, die Baumwollindustrie siedelte sich an. Sachsen 
war das gewerblichste Land. Die deutschen Seestädte, voran die Hanse¬ 
städte Bremen und Hamburg, und aus dem Binnenlande Herrenhuter ge¬ 
wannen einen bescheidenen Anteil am überseeischen Handel. 
Aber das Kunstgewerbe war in tiefem Verfall. Die sklavische Ab¬ 
hängigkeit von Frankreich dauerte fort; sein Rokoko, die Übertreibung der 
Verzierung in naturwidrige Schnörkelei, beherrschte alle Produktion, sowohl 
die in Porzellan, welche die Führung hatte, wie die in Holz, Eisen, Bronze, 
Silber uO Gold. Die Vergoldung und Versilberung, mehr dem prunkenden 
Scheine als der malerischen Wirkung dienend, machte sich breit. Nur die 
Schmiedekunst leistete auch jetzt noch Tüchtiges. Auch die Häuser baute 
man solider und stattete sie reicher und zu größerer Bequemlichkeit aus. 
In dem städtischen Mittelstände, dessen Wohlstand sich hob, lebte man 
gleichmäßiger und besser als zuvor. An die Stelle der unwürdigen Unter¬ 
würfigkeit gegen Höhergestellte trat eine etwas freiere, selbständigere Haltung. 
Denn der nationale Geist, der politischen und materiellen Kultur 
weit vorauseilend und ihre Hebung vorbereitend, nahm einen mächtigen 
Aufschwung, weniger freilich in der Naturwissenschaft als in der Philosophie 
und besonders in den Künsten. Die deutsche Dichtkunst, durch Lessing von 
französischen Fesseln befreit, erhob sich über Klopstock und Wieland hinaus 
in den herrlichen Schöpfungen Goethes und Schillers zur höchsten Schön¬ 
heit: in vollendeter Form stellte sich reichster und tiefster Gehalt dar. Da 
das nationale Leben, der Einheit und Größe ermangelnd, keinen festen 
Scheitern 
der Reform 
von oben. 
Das Abenteuer 
Struensees 
1770—1772. 
Landwirtsckast 
und Industrie 
in Deutschland. 
Überseeischer 
Handel. 
Verfall des 
Kunstgewerbes 
Geistiger 
Aufschwung.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.