178 Die wichtigsten Begebenheiten der Neuzeit, insbes. der Preußisch-deutschen Geschichte.
Diesen Übelständen, die er im Badischen Feldzuge aus eigener An-
schauung kennen gelernt hatte, wollte der König durch eine Neubildung
der Armee abhelfen. Es sollte die Zahl der jährlich einzustellenden
Rekruten um mehr als die Hälfte vermehrt und demgemäß auch die Zahl
der Regimenter vergrößert werden, die Dienstzeit in der Reserve wurde
von zwei auf fünf Jahre verlängert und die Landwehr ersten mit der
zweiten Aufgebots vereinigt. Man brauchte dann im Falle einer Mobil-
machung nur die Reserve einzuziehen, um die Armee auf Kriegsstärke zu
bringen, die Landwehr konnte zunächst in der Heimat zurückbleiben. Die
Thronrede vom 12. Januar 1860 bezeichnete als die Aufgabe, die gelöst
werden müsse, „die überkommene Heeresverfassung durch Verjüngung ihrer
Formen mit neuer Lebenskraft zu erfüllen".
Die von der Regierung eingebrachte Vorlage fand zwar in ihren
Grundzügen die Zustimmung des Abgeordnetenhauses, doch wurde über
die Frage der Dauer der Dienstzeit und die Stellung der Landwehr keine
Einigung erzielt. Der Landtag bewilligte deshalb die zur Vermehrung
der Regimenter notwendigen Mittel zunächst nur auf ein Jahr.
Als aus den Neuwahlen des folgenden Jahres die Linke, die sich
zur „Fortschrittspartei" konstituierte, verstärkt hervorging und die
Mehrheit in der Kammer erhielt, verweigerte sie die Mittel zur Durch-
führung der Umgestaltung. Da der König diese für die Sicherheit des
Staates für unbedingt notwendig hielt und die Vorlage nicht zurückziehen
wollte, das Abgeordnetenhaus aber auf seiner Weigerung bestand, kam
es zu dem Verfassungsstreit (Konflikt), der mehrere Jahre lang
ein Zusammenwirken der Krone und der Zweiten Kammer unmöglich
machte.
Die Militärvorlage wurde im Abgeordnetenhause durch den Kriegs-
minister General Albrecht von Roon, einen wissenschaftlich höchst ge-
bildeten, tatkräftigen Offizier, einen Charakter von eiserner Festigkeit, ver-
treten. Als die Fortschrittspartei im Jahre 1862 nach der Auflösung des
Abgeordnetenhauses durch die neuen Wahlen verstärkt zurückkehrte, berief
der König auf seinen Rat den Gesandten von Bismarck-Schönhansen an
die Spitze des Ministeriums.
Otto von Bismarck war am 1. April 1815 in Schönhausen ge¬
boren. Er hatte in Berlin die Schule besucht und in Göttingen studiert,
war darauf in den preußischen Staatsdienst getreten und hatte dann
die Verwaltung der väterlichen Güter in Pommern und der Altmark
übernommen. Als Mitglied des Vereinigten Landtags und Abgeordneter
der Zweiten Kammer hatte er sich durch die Klarheit feiner Auffassung
der politischen Verhältnisse, die Schneidigkeit und Schlagfertigkeit seiner
Rede einen Namen gemacht. Im Jahre 1851 war er als Gesandter zum
Deutschen Bundestage nach Frankfurt geschickt worden und hatte hier mit
Geschick und Energie die Stellung Preußens den österreichischen Forde-
rnngen gegenüber vertreten. Hier wurden ihm die Ziele klar, die eine