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So kam es nicht zur vollständigen Eroberung Italiens; oströmisch
blieb Ravenna, wo der Exarch, der Statthalter des Kaisers, residierte, ferner
der Bezirk von Rom, endlich ganz Südrtalien und Sizilien. Diese Zer¬
splitterung war günstig sür die Machtstellung des römischen Bischofs; all¬
mählich fiel ihm die Verwaltung der Stadt Rom und ihres Bezirkes zu,
und so gewann er weltliche Macht zu seiner ursprünglich nur geistlichen.
Und da der fern wohnende Exarch und der uoch fernere Kaiser ihn ihre
Obergewalt nicht fühlen lassen konnten, so bereitete sich die völlige Unab¬
hängigkeit dieses weltlichen Besitzes vor. Gleichzeitig wuchs auch das geistliche
Ansehn des römischen Bischofs, und allmählich gewöhnten sich die Völker
des Abendlandes daran, in ihm das Oberhaupt des christlichen Abendlandes
zu verehren. Der erste, den man in diesem Smne Papst nennen kann, war
Gregor I. (um 600). Er hat das persönliche Verdienst, die Angeln und
Sachsen in Britannien (s. o. XI) zum Christentum bekehrt zu haben.
Sein Eiusluß brachte auch die Langobarden dazu, vom arianischen zum
katholischen Christentum überzutreten. Dieser Schritt erleichterte ihre Ver¬
schmelzung mit den römischen Bewohnern des Landes. Nach den Lango¬
barden führt heute uoch der größte Teil der Po-Ebene den Namen Lom¬
bardei. Die lombardische Königskrone heißt auch die eiserne Krone, weil
in sie ein Draht eingelegt ist, den man ans einem angeblich vom Kreuze
Christi stammenden Nagel hergestellt hat.
D) Das Frankenreich.
XV. Das Frankenreich unter den Merowingern.
Alle die blühenden, jngendkrästigen Völker, die aus dem schier uner¬
schöpflichen Germanien gegen das altersschwache Römische Reich zum An¬
griffe vorgingen, find entweder sofort vernichtet ober allmählich römischem
Wesen unterworfen worben. So war es schon beit Kimbern nitb Teutonen
ergangen, so verbluteten noch vor bem Enbe ber Völkerwanbernng Vanbalen
nrtb Ostgoten, unb auch bie Reiche ber Burgunben, ber Westgoten nrtb Lango¬
barden verschwanben spurlos nach kurzem Bestehn. Die Reste aller dieser
Völker gaben ihr Germanentum auf und gingen im Romanentum unter; dem
fie frische Kraft zuführten. Nur das Jnselreich der Sachsen in Britannien
und vou allen Festlandreichen nur das Frankenreich hatten dauernden Bestand.
Vor allen andern Germanenreichen der Völkerwanderung war das
Frankenreich dadurch begünstigt, daß es nicht ausschließlich aus romanischem
Boden lag, sondern in enger nachbarlicher Berührung mit dem eigentlichen
Germanien stand und aus dessen noch immer nicht aufgebrauchter Volks-
•kraft immer neue Stärkung erhielt, fodaß ihm germanischer Charakter er¬
halten blieb. Auch war es ein Vorteil, daß die Frauken den Romanen nicht