Rodin, Hildebrand, Lederer, Meunier, Klinger, Stuck.
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102. Max Klinger, Athlet. (Phot. E. A. Seemann.) 103. Fr. Stuck, Athlet. Statuette. (Phot Hanfstaengl.)
3n der Plastik des modernen Frankreich und des verwandten Belgien stellen
Rodin und Meunier gewissermaßen zwei Pole dar. Constantin Meunier entdeckte,
nachdem Millet den Landarbeiter in die Malerei eingeführt hatte, seinerseits im belgischen
Kohlengebiet zuerst den Bergarbeiter für die Plastik und gab dann auch andere Menschen
der schweren körperlichen Arbeit samt all den Spuren, die sie ihnen leiblich und geistig auf-
prägt, mit packendem Realismus wieder. Seine Statuette „Der Mäher" (101) ist in der Er-
fassung des „fruchtbaren Moments" und in der Führung der Umrisse nur mit Myrons
Diskobol (IV 57) vergleichbar. Auguste Rodin verbindet mit der Kraft psychologischer
Auffassung die Kunst, den ganzen Leib des Menschen bis in die Finger- und Fußspitzen,
ja bis in die Oberfläche der Haut hinein seine Seele aussprechen zu lassen (98). Es ist,
als ob dieser „komme des premiers temps", bisher im Traumleben befangen, eben er-
wachte und sich auf die ungeheure Lebensaufgabe besänne, die der ersten Menschheit auf¬
erlegt ist. So wird er zum Sinnbild dieses Zeitalters selbst.
Unter den Deutschen nimmt Adolf Hildebrand das Problem wieder auf, an dem einst
die griechische Kunst groß wurde (99). (Er verzichtet bewußt auf jedes Motiv, um zunächst
nur die einfache, ruhige Erscheinungsform des Typus Mensch zu geben, und zwar die, welche
die besondere stoffliche und statische Natur des Marmors erfordert. Er stellt ihn einmal
in seiner ganzen Schwere auf den Erdboden, zweitens holt er ihn wieder, mit eigner Hand
den Meißel führend, aus dem Block heraus: nur so, im Marmor selbst empfunden, erhält
die Oberfläche die weiche, durchsichtige Modellierung. Realistischer wirkt Hugo Lederers
Fechter (100), der vor der Mensur seine Klinge prüft, meisterhaft auch durch die kraftvolle
Silhouette. Den männlichen Körper in höchster Kraftanspannung zeigt Franz Stucks, des
Niederbayern, Athlet (103), der eine schwere Kugel stemmt. Ein Universalgenie ersten Ranges,
Radierer, Maler und Bildhauer zugleich, ist der Leipziger Max Klinger (102). Für den
athletischen Körper in der Ruhe fand er ein ebenso natürliches wie künstlerisch wirksames
Motiv: sein Athlet legt die Hände ineinandergefaltet auf den Hinterkopf und entlastet so
die noch heftig arbeitenden inneren Organe.