34 Griechische Geschichte
Erst hielt man Homer für den Dichter sämtlicher griechischen Epen,
die man mit dem Namen des „epischen Kyklos" bezeichnet, dann für
den der Jlias und Odyssee, bis man noch im Altertum aus der Ver-
schiedenheit der beiden Epen auf zwei Verfasser schloß. Gegen diese An-
ficht wandte sich mit seinem ganzen Scharfsinn der größte Homerkenner
des Altertums, der alexandrinische Gelehrte Aristarch.
Im 18. Jahrhundert, in der Zeit der Skepsis, traten Zweifel auf, ob
es überhaupt einen Homer als Dichter gegeben oder ob man nur einen
späteren Zusammenfüger (so deutete man den Namen des Dichters) oder
Ordner früher vorhandener Gesänge und Einzellieder anzunehmen habe.
Mit dieser Frage hing die weitere, wie man sich überhaupt die Entstehung
zu denken habe, zusammen. Die „homerische Frage" wurde augeregt
durch den großen Philologen Friedrich August Wolf, der die Ansicht
ausstellte: Jlias und Odyssee verdanken ihre Entstehung verschiedenen
Dichtern in verschiedenen Jahrhunderten, sind erst mündlich überliefert,
dann schriftlich aufgezeichnet und gesammelt. Der Nctmc. Homer ist nur
eine Kollektivbezeichnung für diese dichterische Tätigkeit mehrerer Jahr-
hunderte. Wolfs Ansicht fand mannigfachen Widerspruch, vor allem auch bei
unseren Dichtern. Schiller gab dem Ausdruck in dem bekannten 3£ettiou:
„Sieben Städte zankten sich drum, ihn geboren zu haben;
Nun, da der Wolf ihn zerriß, nehme sich jede ihr Stück".
Der Philologe Lachmann führte dann, auf seine Forschungen über das
Nibelungenlied sich stützend, die Hypothese Wolss durch, indem er den
Nachweis zunächst für die Jlias versuchte, daß sie aus 18 Einzelliedern
mit allerhand „Füllstücken" bestehe (Lachmannsche Liedertheorie).
Diesen Ansichten steht jedoch die gesamte geschlossene Tradition des Alter-
tums gegenüber. Ganz wird sich die homerische Frage wohl nie lösen
lassen. Wahrscheinlich wurde» die Gedichte anfangs durch einen Kreis von
Sängern, den Rhapsoden, zu denen auch die ihren Ursprung aus Homer
selbst zurückführenden „Homeriden" auf Chios gehören, in einzelnen Teilen
vorgetragen. — Eine ernste Textkritik der homerischen Gedichte setzte
erst in alexaudriuischer Zeit ein, die auch einen allgemein gültigen Text,
eine Vulgata, herausbildete.
Die Bedeu. Für die Griechen bedeuteten die Gedichte Homers das Buch der
t)omeriiAen Bücher, sie wurden die Grundlage aller höheren Bildung in Kunst und
Gedichte, Wissenschaft; das erste Buch, das dem Knaben in die Hand gegeben wurde,
war Homer. Homer hat neben Hesiod die maßgebenden religiösen Vor-
stellnngen über die Götter bei den Griechen ausgebildet. Er gab den
alten Dichtern unerschöpflichen Stoff und wurde das Muster epischer
Darstellung. Die bildenden Künstler nahmen aus ihm ihre Motive,
nach denen sie ihre Götter- und Heroengestalten schufen.
Aber Homers Gedichte haben nicht allein für die Griechen Bedeu¬
tung, sie sind Werke, die nie ihren Reiz verlieren werden. Die