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Zustände unseres Volkes von der Zeit Konrads I.
in dem sie perspektivisch zusammenlaufen, den Andächtigen wieder nach
dem strahlenden Hochaltar. Nur gedämpft bricht das Licht durch die
hohen, farbenglühenden Fenster, und indem sie die Außenwelt ver¬
hüllen, drängen sie den Geist ganz auf diese wunderbare Welt des
Jnnenbaues und auf sich selbst zurück.
Dem ausgebildeten gotischen Stil, wie er in den größten
Schöpfungen des 14. Jahrhunderts sich darstellt, ist immer eine ein¬
fachere Richtung zur Seite gegangen, nicht nur wie natürlich in den
zahllosen kleineren Gotteshäusern und in den Kirchen der Cisterdenser
und der Bettelorden, sondern auch in ganzen Landschaften, weil sie
die ungeheuren Kosten solcher Bauten nicht aufbringen konnten,
namentlich im ganzen norddeutschen Tieflande, das des Hausteines
entbehrt und deshalb auf den Backsteinbau sich angewiesen sah.
Diesem Kirchenstil unterwarfen sich, soweit als möglich, die
weltlichen Bauten, wie die weltlichen Gemeinschaften der Kirche sich
unterordneten. Thüren und Fenster wölbten sich im Spitzbogen, hohe
gewölbte, oft von schlanken Pfeilern getragene, oder von flacher Balken¬
decke überspannte Räume bildeten das Innere, hochaufsteigende, zuweilen
getreppte Giebel krönten die Fronten. Die Fürsten aber, die sich jetzt
neue Schlösser errichteten, bauten sie nicht mehr draußen auf einsamer
Höhe, sondern mitten im vollen Leben der Städte, denn auch sie ver¬
mochten die Genüsse des städtischen Lebens nicht mehr zu eutbehren.
Mit solchen Bauten bedeckten die letzten Jahrhunderte des
Mittelalters in fast unbegreiflicher Fülle alle deutschen Lande. Da
die Mittel unregelmäßig flössen, so schritten große Kirchenbauten oft
nur langsam vor, ja sie gerieten zeitweise ganz ins Stocken und blieben
zuweilen unvollendet, wenn der Kühnheit des Planes die veränderte
Zeitstimmung nicht mehr entsprach. Die Dauer des gotischen Stiles
ist in den einzelnen Ländern verschieden; man unterscheidet drei Unter¬
abteilungen: die Frühgotik mit ihren noch einfachen, strengen, zum
Teil die Verwandtschaft mit dem romanischen Stil verratenden
Formen; die Periode des schöngotischen Stiles, in welchem der
normale, gleichseitige Spitzbogen vorherrscht, und endlich die Spät¬
gotik, welche in allem, in der Schlankheit und Gestrecktheit, dem
Verästeln und Verschnörkeln übertreibt, bis sich endlich Renaissance¬
formen einmischen.
Die ältesten gotischen Kirchen in Deutschland wurden im ersten
Drittel des 13. Jahrhunderts begonnen, im letzten Drittel hat bereits
der schöne Stil die Herrschaft, welche im Süden und Westen Deutsch-