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Die Mederlande waren abgefallen, Ungarn in drohendster Gärung.
In den andern Kronländern, namentlich Böhmen und Tirol, war
allgemeine Unzufriedenheit. Auch die wandelbaren Wiener kehrten
sich gegen ihn. Das gehäufte Mißgeschick und das Weh über das
völlige Scheitern seines Lebenswerks beschleunigte den Tod des
Kaisers. „Nun sehe ich," sagte er, als er den Ungarn die Stephans-
kröne (die nach dem h. Stephan, I. S. 213, benannte ungarische Königs¬
krone) zurücksandte, „daß der Allmächtige noch bei meinen Lebzeiten
alle meine Werke zertrümmert." Ein andermal: „Ich will ihnen
ja alles gewähren, sie sollen mich nur ruhig sterben lassen." Am
20. Februar 1790 starb er, 49 Jahre alt, in christlicher Fassung; er
selbst bezeichnete seinem Beichtvater die Gebete, die er lesen sollte;
sein letztes Wort: „Jetzt fühle ich die Annäherung des Todes ... in
deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist ... ich glaube meine
Pflicht als Mensch und Regent erfüllt zu haben." Die Hauptstadt und
das Reich nahmen die Kunde fast mit Erleichterung auf. Kaunitz soll
gesagt haben: II a fort bien fait de mourir. Die Nachwelt ist dem
Wollen und Streben des Fürsten, der sich schon einige Monate vor
seinem Tod die Grabinschrift bestimmte: „Hier liegt ein Fürst, der
die besten Absichten hatte und alle seine Pläne scheitern sah", gerecht
geworden.
1790-1792. 3. Leopold II. 1790—1792. Josephs ihm innig befreundeter
Bruder (geb. 1743), der seit 1780 als Großherzog von Toskana im
Geist seines Bruders regiert hatte, ein kluger und aufgeklärter Fürst,
der die konstitutionelle Monarchie für die richtige Verfassung hielt,
viel ruhiger und gemäßigter als Joseph, verstand es, die verworrene
Lage zu entwirren. Mit Preußen, das die bedrängte Lage Oster-
reichs benutzen wollte, schloß er den Vertrag von Reichenbach 1790,
in dem er auf eine Gebietsvergrößerung gegenüber der Türkei ver-
zichtete. Die Niederlande brachte er mit leichter Mühe wieder zur
Unterwerfung (1790); auch in Ungarn und Osterreich beseitigte er
durch kluge Nachgiebigkeit die Mißstimmung. Schon war die fr an -
zösische Revolution ausgebrochen; auch ihr gegenüber zeigte er
große Mäßigung und Friedensliebe: es war nicht feine Schuld, daß
wenige Wochen nach seinem jähen Tod (1. März 1792) die französische
Kriegserklärung erfolgte.
IV.Aatharinall.vonRustland und polensUntergang.
1. Katharina II.
a. Persönlichkeit. Katharina (vorihrer Vermählung Prin>
zessin Sophie Auguste von Anhalt-Zerbst, geb. 1729) war durch den
Sturz Peters III. auf den Thron gekommen; daß Peter III. emtge
Tage darauf ermordet wurde, geschah wohl ohne ihr Vorwissen.