§ 2. Zustände bei den alten Germanen. 9
Kobolde, für den Widerstrebenden aber auch oft beängstigend (Albdruck) und
sogar todbringend.
Unter den Westgermanen trug als oberster der Götter schließlich Wodan Wodans Sieg,
den Sieg davon, der auch als Odhin dieselbe Stellung bei den Nord-
germanen einnahm. Ob die Göttergestalten des Frühlingsgottes Baldr,
des Feuergottes Loki, der Göttin der Unterwelt Hel (der „Hehlenden"),
die Vorstellungen von der Walhalla (= „Halle der Gefallenen") und die
den irdischen Heldenmädchen nachgebildeten Walküren den ältesten Zeiten
entstammen und überhaupt den festländischen Germanen angehörten, ist
zweifelhaft. Die fatalistische Anschauung von der bevorstehenden Götter-
dämmerung (= Götterende) kam sicher im Norden und erst unter christ-
lieh ein Einflüsse auf. — Der Germane erbaute seinen Göttern, die er sich ©öttreiuitus.
meist unpersönlich im Dunkel der Wälder wohnend dachte, in den älteren
Zeiten weder Tempel, noch suchte er ihr Bild in Holz, Ton oder Stein fest-
zuhalten. Er begnügte sich, heilige Sinnbilder von ihnen zu schaffen. Ein
Speer deutete den Kriegsgott an, ein Wagen, eine Säule oder eine Tier-
gestalt andere Götter. Ebensowenig gab es einen Priester st and. Jeder Haus-
vater war der Priester feiner Familie; wer dem Stamm dazu für geeignet
erschien, wurde Stammespriester. Mit der fortschreitenden Kultur kamen
ebenso wie die Tempel auch die Priester auf.
Die phantasievollen, oft tief symbolischen Vorstellungen von dem Leben und mmuben^bn
Weben des Göttlichen in der Natur fanden ihren Nährboden in dem sinnigen ermanen
und phantasievollen Geiste des Volkes. Mythen und Märchen, Zaubersprüche
und Gebete sind die ältesten Erzeugnisse der Dichtkunst der Germanen
(Stabreim); Kampfgesänge und Heldenlieder, wie zu Ehren Armins, er-
wähnt Tacitus. Sänger von Beruf nach Act der keltischen Barden gab es
nicht. Die Überlieferung geht von Mund zu Mund; denn die in Holz, Metall
oder Stein geritzten Runen dienten nur dem Zauber- und Orakelwesen und
haben sich erst im 4. Jahrhundert in Anlehnung an das griechisch-römische
Alphabet zu „Buchstaben" entwickelt. — Die ersten Versuche künstlerischer
Betätigung erkennt man am Haus- und Kriegsgerät, in der Ausschmückung
des Hauses selbst mit symbolischem Schnitzwerk und einer eignen linearen
Ornamentik.
Im Seelenleben der Germanen finden wir eine überraschende Gegen-Völkische^genart
fftftlicfofeil: neben der keuschen Verehrung der Frau ihre Herabwürdigung ber ermonen'
zum Last- und Arbeitswesen; neben der namentlich im Gefolgswefen sich er-
greifend betätigenden Treue den Mangel jeglicher Treue dem eignen Volke
gegenüber; neben reckenhafter Tapferkeit heimtückische Hinterlist bei Beseiti-
gung des Gegners; neben dem glühendsten Freiheitsdrang die freiwillige
Hingabe an den bewunderten Überwinder; neben der peinlichsten Wahrung
ererbter heimischer Sitte urteilslose Nachahmung fremdländischen Wesens;
neben der Hochhaltung eines gefunden Körpers den Drang zur Völlerei in
Speise und Trank. Den stärksten Gegensatz aber, dessen Einwirkung sich wie
ein roter Faden unheilvoll durch die ganze Geschichte des deutschen Volkes
bis in die Gegenwart zieht, bilden der genossenschaftliche Sinn, der
die engste Bindung des einzelnen an eine Gemeinschaft bis zur Selbstent-
äußerung fordert und duldet, und der aus einer selbstbewußten Jndividuali-