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Neben dem Wohnzelte des Lappen steht meist noch ein Zelt; hier
speichert er auf, was er an Mehl, Fellen und Geräten besitzt. Gewöhnlich
aber hat er nichts als einige hölzerne Schüsseln, einen Kessel, einige Klei¬
dungsstücke, einige Pelzdecken, und an den Zeltstangen hängen die Renntier-
magen, in welchen er seinen Milch- und Käsevorrat verwahrt. Auf einer
andern Seite der Hütte ist aus Pfählen eine Art Hürde gemacht, in welcher
die Renntiere zweimal des Tages gemolken werden. Dies ist das Anzie¬
hendste für den Fremden, der eine Gamme besucht. Die Hunde und Hirten
treiben die Herde herbei, und die schönen Tiere mit den klugen, milden
Augen bilden einen Wald von Geweihen. Die Kälber umringen ihre Müt¬
ter; die jungen Tiere erproben spielend und stoßend ihre Kraft, und unauf¬
hörlich hört mau jenes seltsame Knistern, das aus dem Knacken der Knie¬
gelenke des Renntieres entsteht. Beim Melken wird jedem Tiere eine
Schlinge übergeworfen, damit es still stehe, und diese Zügelriemen gebrauchen
die Lappen mit derselben bewundernswerten Geschicklichkeit wie der India¬
ner seinen Lasso. Das Renntier giebt wenig Milch; aber sie ist fetter als
lede andere und außerordentlich nahrhaft. Jedes Familienglied bekommt
seinen Teil; ein anderer wird zu der täglichen Suppe verwendet, welche
mit Mehl oder auch Renntierblut oder Fleisch gemischt, eine wohlschmeckende,
stärkende Speise gewährt. Der Rest der Milch wird zu Käse gemacht.
Im Winter läßt man die Milch auch wohl gefrieren, so daß man sie in
Tafeln schneiden kann. Sie verliert dabei durchaus nichts von ihrer
süßen Frische und ist namentlich auf Reisen ein sehr dienliches Nahrungs¬
mittel. Fleisch und Milch des Renntieres sind überhaupt die wichtigste
Nahrung des Lappen, und nur durch die Kräftigkeit derselben wird es ihm
möglich, die Furchtbarkeit des Winters zu überdauern.
Will mau das Renntier in seiner ganzen Schnelle sehen, so muß man
bs als Zugtier betrachten, wie es im scharfen Trabe mit schnellen Tritten
dahineilt. Das Geschirr ist leicht; man lenkt das Tier mittelst eines dünnen
Riemens, der am Geweih befestigt wird, und treibt es entweder durch Zuruf
und die Peitsche oder mit einem Treibstachel an. Es wird nur einzeln vor
einen Schlitten gespannt. Sorgsam in Pelze eingehüllt, daß kein Teil des
Körpers, mit Ausnahme des Gesichts, der freien Luft ausgesetzt ist, sitzt der
weisende in seinem kleinen Schlitten und hat nur die Arme und Schultern
srei; das Tier wird mit der Peitsche angetrieben, und so geht's mit schnellen
Schritten vorwärts. Es ist schwer im Laufe anzuhalten, und hieraus ent¬
springen gar mancherlei Unglücksfülle; oft wird ein Schlitten umgeworfen
und der Reisende weithin über den Schnee geschleppt, bevor er das Tier
zum Stehen bringt. Ein nur halb überfrorener Fluß unterbricht die Reise
des Lappländers nicht; er treibt sein Tier zum schnellsten Laufe an, daß
es einen Sprung über die Öffnung macht, wenn sie auch sieben Fuß weit
Märe, und der Schlitten folgt teils infolge des Stoßes, den er erhalten
hat, teils wegen des fortdauernden Zuges, den das Tier noch immer aus¬
übt. Größere Gefahren entstehen, wenn Nebel oder Schneegestöber eintritt.
Man bemerkt in solchem Falle in einer gewissen Himnielsgegend eine schwache
Dämmerung, die allmählich zunimmt und bald den gangen Horizont über-