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V. Gegen Rufsland 1812.
Diese gröfste und ungeheuerlichste Unternehmung Na¬
poleons war auch der Anfang seines Endes.
Seit Österreichs Fall 1809 waren nur noch zwei Mächte
in Europa unabhängig von Napoleon — England und Rufs¬
land. Bei der Unmöglichkeit, den Inselstaat selbst mit Erfolg
anzugreifen, sollte Rulsland überwältigt und, auf dem Wege
durch Persien, England in Ostindien angegriffen werden.
Allmählich hatte sich das gute Einvernehmen zwischen
den beiden Kaisern gelockert. Die Yergröfserung des Grols-
herzogtums Warschau im Wiener Frieden wurde als Anfang
der Wiederherstellung Polens, demnach als Feindseligkeit
gegen Rufsland betrachtet. Dazu kam die Beraubung des
Herzogs von Oldenburg, eines Verwandten Alexanders, 1811;
die Erlaubnis der Einfuhr englischer, Verbot der französischen
Waren in Rufsland.
Rüstungen: Napoleons Heer, bis dahin das gröfste der
neueren Geschichte, war ein Aufgebot fast ganz Westeuropas,
ca. 440000 Mann für den Angriffskrieg, 80000 Mann zur Be¬
wachung Deutschlands, ebensoviel zur Deckung der fran¬
zösischen und italienischen Küsten, neben den in Spanien
kämpfenden fast 200000 Mann. Unter den gegen Rufsland
operierenden Truppen befanden sich ca. 100000 Rheinbündner,
40000 Österreicher auf dem rechten (unter Schwarzenberg),
20000 Preufsen (später unter York, aber unter Macdonalds
Oberkommando) auf dem linken Flügel.
Der wirkliche Umfang der russischen Rüstungen ist un¬
bestimmbar, blieb aber weit unter der Stärke der französischen.
Anfangs stand der Kriegsminister Barclay de Tolly an der
Spitze des Ganzen. Schweden (Bernadotte) war mit Rufs¬
land im Bunde. Der russische Kriegsplan war vom General
Phull ausgegangen, von Scharnhorst gebilligt: Verteidigungs-
. krieg und Rückzugstaktik. An der grofsen Ausdehnung des
russischen Reiches sollte Napoleon zu Grunde gehen. Mit
der geregelten Kriegsführung verband sich mehr und mehr
die Volkserhebung.
Das Napoleonische Heer ging — Juni 1812 — über
18. Aug. Niemen und Bug, und siegte bei Smolensk über Barclay und
7. Sept. Bagration; in der russischen Armee trat an Barclays Stelle
Kutusow, der bei Borodino an der Moskwa geschlagen wurde.