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sich an diesem immer höher hebt, bis sie mittags um 12 Uhr den höchsten Punkt
ihrer Bahn erreicht hat und dann sinkt, um abends in der Westgegend unter dem
Horizonte zu verschwinden. An welcher Stelle des Himmelsgewölbes auch an der-
schiedenen Tagen mittags der höchste Punkt der Sonnenbahn liegen mag, immer
weist die Projektion der geraden Linie zwischen unserem Auge und diesem höchsten
Punkte auf die Horizontalebene genau von unserem Standpunkte nach Süden,
mit anderen Worten: sie fällt in die Nordsüdlinie, die man deswegen auch Mit-
tagslinie nennt. Da jeder Ort seinen eigenen Horizont und seinen eigenen
Zenit hat, hat er auch seine eigene Mittagslinie. Offenbar würde man nach Fest-
stellung dieser Linie alle Himmelsgegenden durch bloße Winkelkonstruktionen be-
stimmen können. — Aber wie kann man auf einfache Weise die Lage der Mit-
tagslinie eines Ortes bestimmen? Je höher die Sonne steht, desto kürzer ist der
Schatten aller Gegen-
stände, die senkrecht auf
der Horizontebene stehen,
und umgekehrt. Stellte
man also bei Sonnen-
schein auf eine hori-
zontale Fläche senkrecht
einen Stab und beob-
achtete genau die Länge
der Schatten auf der
Fläche, so wäre der
kürzeste aller Schatten
die Mittagslinie. Diese
Beobachtung bietet aber
praktische Schwierig-
keiten und würde sehr
unsicher sein; ^ daher
ist folgendes Verfahren
Keffer.
Auf einem hori-
zontalen Brette wird
ein mehrere Zoll langer
Stab senkrecht befestigt,
nachdem man vorher
um seinen Standort eine größere Anzahl konzentrischer Kreise gezogen hat. Die Ein-
richtung heißt Gnomön. Vormittags fällt der Schatten mehr nach Westen, nach-
mittags mehr nach Osten, mittags genau nach Norden; vormittags wird er allmäh-
lich kürzer, nachmittags allmählich länger; vormittags wird er also durch die äußeren
Kreislinien mit größerem Halbmesser hindurch nach den inneren zurück und dabei
gleichzeitig von Westen nach Norden herum, nachmittags von den inneren Kreisen
durch die äußeren vorwärts und dabei gleichzeitig von Norden nach Osten herum
gehen. Den Kreis, den der Schatten vormittags um eine bestimmte Stunde schneidet,
schneidet er um ebensoviel nach 12 Uhr wieder. Bezeichnet man zwei solche Schnitt-
punkte desselben Kreises, verbindet sie und halbiert die Verbindungslinie, so ist die Linie,
die durch den Halbierungspunkt und den Standpunkt des Stabes geht, die Mittagslinie.