Full text: Geschichte des Altertums (Teil 1)

Griechische Bildung u. Kunst im 5. u. 4. Jahrh. v. Chr. 165 
welcher er seine in zahlreichen Schriften auf uns gekommenen 
Lehren vortrug. 
Den anderen Brennpunkt der griechischen Philosophie, ihre 
„Vollendung“, bildet der etwa vierzig Jahre jüngere Aristoteles 
aus Stageira, der Lehrer Alexandros’ des Großen, den er noch um 
ein Jahr überlebte. Schüler Platons und Mitglied seiner Akademie, 
dann auf einige Jahre durch Philipp nach Makedonien berufen 
siedelte er endlich, als sein großer Zögling seinen Eroberungszug an¬ 
getreten hatte, auf die Dauer nach Athen über. Hier gründete er im 
Gymnasion des Lykeions eine eigene Schule. Seine Lehren hat er 
in einer gewaltigen Anzahl von Schriften niedergelegt, die fast alle 
damals hekannten Wissenschaften umfassen und von einer erstaun¬ 
lichen Gelehrsamkeit und außerordentlichen Geistesschärfe zeugen. 
Nicht bloß in der Alten Welt, sondern auch im Mittelalter und in 
mancher Beziehung noch in der Neuzeit, — nicht bloß bei den 
Völkern des Hellenismus, sondern anch bei den Scholastikern des 
Mittelalters, namentlich auch bei den Mohammedanern, genoß er ein 
geradezu kanonisches Ansehen. 
II. Die Kunst. 
Von der Malerei, besonders von ihren großartigsten 
Schöpfungen wissen wir bloß aus den Berichten und Urteilen der 
alten Schriftsteller. Ihr bedeutendster Vertreter war darnach der 
Ionier Apelles, der am Hofe Philipps von Makedonien lebte. 
In der bildenden Kunst taten sich in der ersten Hälfte des 
vierten Jahrhunderts Skopas und Praxiteles hervor. Von 
Skopas ist wenig auf uns gekommen. Möglich, daß er der Meister 
der figurenreichen Niobegruppe ist, die man im Altertum bald 
ihm, bald dem Praxiteles zuschrieb. Die Kinder der Niobe .fallen 
durch Apollon und Artemis; die einen sind schon vom Pfeil erreicht, 
die anderen fliehen in wirrem Entsetzen auseinander (Fig. 137). Das 
jüngste Kind hat sich zur Mutter geflüchtet 5 diese sucht es vergebens 
zu bergen, das Antlitz mit dem Ausdruck der höchsten hülflosen 
Angst und des tiefsten Seelenschmerzes zum Himmel erhebend 
(Fig. 138). 
Mit mehreren Genossen beteiligte sich Skopas an dem ausge¬ 
dehnten Skulpturenschmuck, den das Mausoleum in Halikarnaß er¬ 
hielt. Es war dies ein hervorragendes Werk der Baukunst, ein 
Grabdenkmal, das um die Mitte des vierten Jahrhunderts dem König 
Mausölos von Karien von seiner Gattin errichtet ward. 
Vertrauter ist uns des Praxiteles Art. Schon sein Vater 
Kephisodot war ein tüchtiger Künstler, von dessen Eirene eine Nach-
	        
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