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trauensmänner der Stände). Ein erschreckendes Zeichen dafür, 
welchen Hass und welch schlechten Ruf, wenn auch unverdient, 
die Königin sich zugezogen hatte, war der Halsbandprozess 
1785. Calonnes Nachfolger, Erzbischof de Brienne (1787—88), 
geriet, als er ebenfalls versuchte, durch ein königliches Edikt 
neue Steuern einzuführen, in Streit mit dem Parlament, das 
diese von der Bewilligung durch die (seit 1614 nicht mehr be¬ 
rufenen) Reichsstände abhängig machte, erregte durch Ver¬ 
haftung von Parlamentsräten und die Aufhebung der in ihrem 
Widerstand beharrenden Parlamente, die durch einen obersten 
königlichen Gerichtshof ersetzt werden sollten, allgemeinen Un¬ 
willen und musste, da die Staatskasse die Barzahlungen grossen- 
teils einstellte, zurücktreten (August 1788). Die Berufung 
Neckers zu seinem Nachfolger hob noch einmal den Staats¬ 
kredit; Neck er stellte die Parlamente wieder her und legte 
dem Pariser am 25. September 1788 den Erlass, betreffend 
Berufung der Generalstände, vor; durch die reaktionäre 
Forderung, dass diese nach der 1614 beobachteten Form zu¬ 
sammentreten sollten, verscherzte das Parlament die Gunst 
der öffentlichen Meinung. Neck er selbst setzte, dem Mehrheits¬ 
beschluss einer zweiten Notabelnversammlung entgegen, durch, 
dass der dritte Stand zweimal so viel Vertreter haben solle, als 
jeder der beiden andern. Die durch einen königlichen Erlass ver¬ 
fügten Wahlen, bei deren Anordnung sich die Unfähigkeit und 
Unkenntnis des ancien régime offenbarte, waren für den dritten 
Stand indirekte, das aktive Wahlrecht an einen nicht hohen 
Zensus gebunden. Die Wahlbewegung rief eine Menge von 
Flugschriften hervor; zusammen mit den „cahiers“, in 
denen die Wünsche der Wähler zusammengestellt wurden, gaben 
sie der Forderung einer Regelung und Beaufsichtigung des Staats¬ 
haushalts, wie überhaupt einer Verfassung Ausdruck, grössten¬ 
teils jedoch in gemässigter Haltung und in freudiger Hoffnung 
auf eine Einigung zwischen König und Nation. Selbst der 
doktrinäre Abbé Sieyès, dessen Flugschrift: „Qu'est ce que le 
Tiers-État?“ im allgemeinen abstrakten Theorien huldigt, warnte 
in andern Schriften vor Ueberstürzung. Aber es kam schon, 
zum Teil infolge der Missernte des Jahres 1788 und des darauf 
folgenden strengen Winters, in Stadt und Land zu wilden Ge- 
waltthätigkeiten. 
§ 94. Die verfassunggebende Versammlung (la Constituante) 
1789—91. 
Die Versammlung in Versailles. Am 5. Mai 1789 wur¬ 
den die Reichsstände in Versailles vom König eröffnet;
	        
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