— 366 —
Edikt über die Judenemancipation (11. März 1812) erlassen und
das Gleichgewicht im Staatshaushalt unter gleich¬
zeitiger Abzahlung von zwei Dritteln der französischen Schuld
hergestellt..
Hand in Hand mit der politischen Neubildung ging eine
Umwandlung des geistigen Lebens: dass Vaterlands¬
liebe und die bürgerlichen Tugenden mehr wert seien als schön¬
geistiges Wesen, dass die allgemein menschliche Bildung auf
der Grundlage heimischer Eigenart und nationaler Selbständig¬
keit ruhen müsse, wenn sie nicht in charakterlose Oberflächlich¬
keit ausarten solle, dass den religiösen und sittlichen Faktoren
des Volkslebens die grösste Bedeutung für die Geschicke eines
Volkes zukommen, dass der Kampf gegen die Fremdherrschaft
zugleich die elementarste und die heiligste Pflicht sei, waren
die Ueberzeugungen, mit denen die geistigen Führer des Volks,
ein J. G. Fichte (seine „Reden an die deutsche Nation“ 1808),
Ernst Moritz Arndt (sein „Geist derZeit“ 1806 begonnen),
Schleiermacher u. a., sich durchdrungen hatten und nament¬
lich die jüngere Generation erfüllten; freilich fehlte es auch
nicht an Einseitigkeiten und Uebertreibungen in dieser Pflege
des vaterländischen Sinns, so bei Jahn, der 1811 den Turnplatz
auf der Hasenheide in Berlin eröflhete. Der „Tugendbund“,
der, 1808 in Königsberg gegründet, schon 31. Dezember 1809
auf Wunsch des Königs sich auflöste, war hauptsächlich als
Zeichen der Zeit und wegen des Eindrucks, den er auf die
Franzosen machte, von einer gewissen Bedeutung gewesen. Eine
That von bleibendem Wert für das deutsche Geistesleben und
zugleich die für die Bedürfnisse der Zeit notwendige Ergänzung
des patriotisch-sittlichen Gesichtspunkts durch die Wissenschaft
war die von W. v. Humboldt angeregte Gründung der Ber¬
liner Universität, die im Herbst 1810 eröffnet wurde, kurz
nachdem Königin Luise gestorben war (19. Juli 1810); das Ver¬
mächtnis, das sie ihrer Familie und ihrem Volk hinterliess, war
die Pflicht der Wiederherstellung des Vaterlands. Zunächst frei¬
lich musste Preussen seinem Bezwinger Heeresfolge leisten.
§ 111. Napoleons Krieg mit Russland.
Die Vorbereitung des Kriegs. Napoleons Bündnis
mit Bussland war von vornherein nicht bestandfähig,
weil Napoleon niemals im Ernst gewillt war, die Vorherrschaft
in Europa mit Alexander zu teilen. Dies zeigte sich besonders
in dem Rückhalt, den die Türkei den russischen Absichten gegen¬
über an Frankreich fand, und in der Begünstigung des Gross-