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Zweiter Abschnitt.
Die Reformation in Deutschland und der Schweiz;
Karl Y.
Kapitel III.
Anfänge der deutschen Reformation.
§10. Der deutsche Humanismus im Kampf gegen die Scholastik
und die kirchlichen Zustände.
Johann Reuchlin (bei andern „Capnion“, geb. in Pforzheim
1454, f 1522), von Beruf Jurist, gehörte seinem Wesen und
Streben nach der älteren, der Scholastik noch nicht feindseligen
Richtung des deutschen Humanismus an. Durch theosophische
Neigung mit der Kabbala, der Geheimlehre der jüdischen Rab¬
biner befreundet, erwarb er sich seit 1492 gründliche
Kenntnis des Hebräischen, wurde so „trium linguarum
peritus“ und ermöglichte durch zwei Werke: „Ruclimenta hebraica“
1506 und ,,De accentibus et orthographia linguae hebraicae“ 1518,
ein Verständnis des Urtextes des Alten Testaments. Sein Auf¬
treten gegen den getauften Juden Johannes Pfeffer¬
korn, der, von den Kölner Theologen, insbesondere dem Ketzer¬
meister Jacob von Hochstraten unterstützt, die Konfis¬
kation aller jüdischen Religionsbücher im Reiche anstrebte, und
gegen jede gewaltsame Judenbekehrung (sowie für
den Talmud) gab Veranlassung dazu, dass die Humanisten
der jüngeren, der Scholastik (den „Sophisten“) und dem bestehen¬
den Kirchenwesen durchaus feindlichen, Richtung (die „Poeten“)
sich zum Angriff auf Scholastik und Kirche, ins¬
besondere das Mönchtum, zusammenschlossen. In
den epistolae obscnrorum virorum, einer Sammlung an¬
geblicher Briefe von Anhängern der Scholastik zumeist an den
Kölner Magister Ortuin Gratius, wurde das abscheuliche Latein
und die hohle und alberne Spitzfindigkeit der damaligen Scho¬
lastik, wie die Unbildung und Immoralität des Klerus, ins¬
besondere des an den Universitäten wirkenden, mit karrikierender
Uebertreibung geschildert. Der Gedanke dieser Einkleidung der
satirischen Polemik rührt von Crotus Rubianus her, der in Ver¬
bindung mit anderen Persönlichkeiten des Erfurter Humanisten-