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gestattet. Selbst in die Verwaltung der einzelnen Sprengel griff der Papst
durch Legaten fort und fort ein; bald machten diese sich durch schamlose
Erpressungen berüchtigt, und der ganze römische Hof (jetzt curia Romana gen.)
kam in den Ruf unersättlicher Habsucht.
Katharer und Waldenser. Der ganze Zustand der Kirche, besonders
die verweltlichte Hierarchie (auch die zuletzt gegründeten Orden, zu Reichtümern
gelangt, verweltlichten schnell), erweckte im 12. Jahrh. in vielen das Gefühl
der Unbefriedignng. Unklare Schwärmer, die sogen. Katharer^) (xaöccQoi,
die Reinen) traten auf, welche die unmittelbare Wirkung des göttlichen Geistes
zu erfahren glaubten und sich über bürgerliches und kirchliches Gesetz erhaben
fühlten. Im Gegensatz zu dem Glänze der katholischen Kirche verwarfen sie
• jeden sinnlichen Genutz und irdischen Besitz. Neben ihnen erhoben sich die
Waldens er mit der Absicht, das Christentum der apostolischen Zeit in seiner
Einfalt und Innigkeit zu verwirklichen; sie empfingen den Namen von Peter
Waldes, der. ein reicher Bürger Lyons (a. Einfluß der Saone in d. Rhone),
etwa 1173 eine innere Umwandlung erfuhr und sein Hab und Gut den Armen
schenkte. Mit geistesverwandten Freunden bildete er eine Genossenschaft, welche
sich die Aufgabe setzte, in Nachahmung der Apostel durch die Welt zu ziehen
und jedermann zur Buße zu rufen (1177). Als ihnen das Predigen- vom
Erzbischof von Lyon verboten ward und der Papst den Bann über sie aus-
sprach (1184), fuhren sie heimlich zu wirken fort und namentlich die Kennt-
nis der heiligen Schrift (bes. des neuen Testaments) in der Volkssprache zu
verbreiten. Frühzeitig verpflanzte sich die Bewegung nach Oberitalien und
von da nach Deutschland. In den unteren Ständen meist hatten sie ihre
Freunde (Gläubigen), in deren Häusern sie den schlichten Gottesdienst abhielten.
Wie die französischen Waldenser, bildeten die lombardischen eine Genossenschaft
apostolisch lebender, eheloser, wandernder Männer und Frauen (Brüder und
Schwestern). Schroffer stellten sich diese Lombarden zu der römischen
Kirche; sie erklärten, daß die reiche Papst- und Blschofskirche nicht mehr die
Kirche Christi sei; Messe, Fegfeuer, den Dienst der Heiligen und Reliquien
verwarfen sie. Zu einer grundsätzlich neuen Auffassung des religiösen Heils und
zur Aufstellung eines neuen sittlichen Lebensideals sind sie indes nicht gelangt.
Albigenserkrieg und Inquisition. Ende des 12. Jahrh. wurden
jene Häretiker in Südfrankreich mächtiger als die Kirche. Jnnocenz III. war
deshalb sofort nach seiner Thronbesteigung bedacht, die Ketzer zu unterdrücken.
Da seine Legaten durch Disputation und Predigt wenig ausrichteten, so liefe
er durch Arnold, Abt von Citeaux, einen Kreuzzug predigen, der sich vor-
zugsweise gegen die Landschaft Albigeois (nordöstl. v. Toulouse an den
Abhängen der Cevennen) wandte; von derselben hat der ganze Krieg den Na-
men erhalten (1209). Als die offene Ketzerei durch massenhaftes Morden ge-
tilgt war, wurde durch Beschluß der 4. Lateransynode die Ausrottung ihrer
geheimen Überreste bischöflichen Sendgerichten übertragen, deren Haupt-
geschäft es war, die Ketzer aufzusuchen. So entstand 1215 die Einrichtung
der Inquisition, die indes bald (1232 u. 1233 durch Gregor IX.) den
Bischöfen genommen und ausschließlich den Dominikanern übertragen ward.
Das Henkeramt überwies die Kirche den weltlichen Behörden. Die Inquisitoren
1) Das daraus gebildete „Ketzer" wurde allgemeine Bezeichnung für Häretiker.
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