X. Wasser, Wald und Wiese.
291
ihn kann deshalb kein Tau erfrischen. Der Wald, mit einer bedeutenden
Verdunstungsoberfläche versehen, gibt feinem Boden, gibt dem benach¬
barten Lande eine große Menge des erquickenden Taues; der Boden
des dichten Hochwaldes, am Tage durch die Sonnenstrahlen weniger
erwärmt, wird in der Nacht auch weniger durch Ausstrahlung erkältet.
Die von Feuchtigkeit erfüllten Luftschichten über dem Walde senken sich
am stillen, kühlen Abend als Nebel in das Tal; der Tau perlt am
Morgen auf den Wiesen, er erquickt den Acker. Wie in den Küsten¬
gegenden die Meeresdünste, so sorgen die Waldesdünste im Binnen¬
lande für die Bewässerung des Bodens und durch dieselbe für dessen
Fruchtbarkeit.
Die Mehrzahl der Flüsse entspringt auf bewaldeten Gebirgen;
der Wald erhält einer Gegend ihren Wassergehalt; er sorgt für die
Flüsse, er ernährt ihre Quellen; in der Wüste versiegen dieselben.
Die ungeheuren, wasserreichen Ströme Nordamerikas durchziehen den
Urwald; ob sie so wasserreich bleiben werden, wenn ihre Wälder ver¬
schwunden sind? Die Winde fahren her und hin; fällt auch auf
dürren Sand ein warmer Regen, was hilft er diesem Sande? Be¬
gierig eingesogen, wird sein Wasser ebenso schnell wieder abgegeben;
keine Pflanzen sind vorhanden, die das Wasser an sich fesseln könnten;
nur wenige Pflanzenarten rönnen überhaupt auf dürrem Sande
gedeihen, weil nur wenige imstande sind, das Wasser lange festzuhalten.
Die Kakteen oder Fackeldisteln und die blattlosen Euphorbien oder
Wolfsmilchgewächse sind fast die einzigen Bewohner tropischer Wüsten;
unser Sandgras wächst auf Flugsand dürrer Heiden und wird schon
hier, indem es durch seine Wurzelausbreitung den lockeren Sand
befestigt, nützlich. Das Sandgras zeigt uns die Möglichkeit, auch
Wüsteneien ganz allmählich mit einer neuen Pflanzendecke zu bekleiden.
Wenn sich im Winter Schnee und Eis auf dem Gebirge häuft,
um vor der Sonne des Frühlings zu schmelzen, so schwellen die Ströme
plötzlich an; ein Bergstrom kommt zu anderen; die Wassermasse stürzt
mit Macht ins Tal hinab. Bedeckt ein Wald des Gebirges Grund,
fließen die Ströme durch fruchtbares Land, so wird ein großer Teil des
schmelzenden Schnees, der auf den Bäumen oder unter ihnen liegt, von
der'lockeren Dammerde des Bodens aufgesogen und zurückgehalten,
während er da, wo ihn der Boden nicht aufnimmt, die Wassermenge
der Flüsse vermehrt. Seitdem die Wälder verschwanden oder über
alle Gebühr gelichtet wurden, sind die Ü b e r s ch w e m m u n g e n der
Flüsse im Frühjahre furchtbarer als je hervorgetreten.
Ein Bergrücken, eine Mauer, ein Wald schützen vor dem Winde.
Der Windschutz des Hochwaldes ist in mancher Gegend nicht ohne
wohltätigen Einfluß; von ihm beschirmt, gedeiht der junge Wald, ge¬
deiht das Ackerland; er verhütet die weitere Ausbreitung des Flug¬
sandes; er hemmt die nachteilige Einwirkung austrocknender Winde; er
gewährt endlich Schatten und Kühlung. Der wohltätige Einfluß des
Waldes auf die Luftbeschaffenheit einer Gegend läßt sich nicht mehr
in Zweifel ziehen. Der Gesundheitszustand der Menschen und Tiere,
das Gedeihen der Pflanzen ist von der Luftbeschaffenheit einer Gegend
19*