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Das Haupt der peloponnesischen Kunst des 4. Jahrh. war Lysippos aus
Sikyon, ausschließlich ein Erzgießer; mit der höchsten Anschaulichkeit stellte
er das physische Leben dar, dadurch an Myron erinnernd, aber über ihn hinaus
wußte er auch die individuelle menschliche Schönheit zum Ausdruck zu bringen;
er gilt als der größte Porträtbildner') Griechenlands und hat insbes.
Alexander den Gr. dargestellt2). —
Unter den plastischen Denkmälern des 4. Jahrh. ist der kolossale marmorne
Löwe auf dem Schlachtfelde von Chanöneia (Sharonea) hervorzuheben, den die
Thebaner über dem gemeinsamen Grabe ihrer heldenmütig gefallenen Krieger er-
richteten.
Das in sich gespaltene und politisch ohnmächtige Griechenland fiel wie eine
reife Frucht dem kräftigen nordischen Königreiche zu, das durch seine Erobe-
rungen wiederum dem griechischen Geiste und der griechischen Kultur weite Ge-
biete öffnete.
VII. Die Eroberung Griechenlands durch Philipp von Makedonien.
Die Makedonier, wohl ein den Griechen verwandtes Volk, kräftige
Bauern, Krieger und Jäger, saßen auf den Hochflächen um den thermaischen
Meerbusen; weder die binnenländischen Grenzen waren gesichert noch war die
Meeresküste in makedonischem Besitz; fortwährende Thronstreitigkeiten hemmten
die Entwicklung des Königreichs; erst durch Philipp (359—336) gewann
Makedonien volle Einheit im Innern und Bedeutung nach außen. Des Königs
glänzende Anlagen hatten sich in Theben entwickelt, wo er 3 Jünglingsjahre
(368—365) in der großen Zeit des Epameinondas zugebracht hatte und in
die Geheimnisse der Staats- und Kriegskunst eingeweiht worden war. Seinen
Makedoniern gab er die Rüstung der griechischen Hopliten und versah sie mit
einem Speer von 5 m Länge, der Sarissa; nach dem Vorgang des Epameinon-
das schuf er die (makedonische) Phalanx, 16 Mann tiefe Vierecke; den ehemals
widersetzlichen Adel wußte er an den Hof zu ziehn und seinen Ehrgeiz in den
großen Kriegen, die er begann, zu befriedigen. Nachdem er die binnenlän-
dischen Grenzen nach N. und nach W. (gegen die Jllyrier) gesichert
hatte, begann er sich den griechischen Angelegenheiten zuzuwenden. Er fühlte
sich als Grieche3), wie er denn den größten Gelehrten und den berühmtesten
Maler des Altertums, Aristoteles und Apelles, an seinen Hof gezogen hat.
L Die Besetzung der makedonischen Küste.
Klug und gewandt benutzte Philipp die Uneinigkeit der Griechenstädte
an der makedonischen Küste; er besetzte u. a. das mächtige Amphipolis und
1) Neben dem geschichtlichen Porträt wurde auch das Genrebild geschaffen; wenigstens
gehören der Knabe mit der Gans und der Dornanszieher höchst wahrscheinl. dem 4. Jahrh an.
2) Zugleich schuf er einen neuen Kanon des menscht. Körpers; statt des nach Polyklets
Kanon (im Doryphoros) angenommenen Mittelmaßes bildete er schlanke, hohe Gestalten mit
kleineren Köpfen, wie dies die Marmornachbildung des ApoxyomenoS (eines Ringkämpfers,
der sich das Salböl und den Staub von dem Arme schabt) lehrt.
3) Am Hofe des Königs Archelaos (413—399) war Enripides und der Mater Zeuxis.—
Apelles war insbes. Porträtmater und hat wie Lysippos in mannigfattigfter Weife den Alexander
gebildet.