Full text: Römische Kaisergeschichte, Das Mittelalter, Die neuere Zeit bis 1648 (Bd. 2)

Das Altertum 
Die römischen Kaiser nach dem Tode des Augustus 
(f 14 n. Chr.). 
Die uier üitifec aus item Jkufe der Etauifiei1, 14—68. 
§ l. 1. Tiberius Claudius Nero. 14—37. Obwohl Tiberius. 
der Stiefsohn des Augustus, bei seinem Regierungsantritte bereits 56 
Jahre alt mar, so zeigte er doch eine außerordentliche Tatkraft. Aber 
die leidige Verstellung, die er in seiner Jugend im Hause des Augustus 
unter der Anleitung seiner ränkesüchtigen Mutter geübt hatte, hatte ihn 
an Heuchelei derart gewöhnt, daß er selbst mit guten Regierungs- 
maßregeln nicht offen hervorzutreten wagte, und in seinem herrsch- 
süchtigen Geiste einen solchen Ilrgwohn erzeugt, daß er jede Größe, jedes 
hervorragende Verdienst mit Eifersucht betrachtete. Der Charakter des 
Tiberius ist allerdings von den alten Geschichtschreibern verschieden 
beurteilt worden. Während ihn die zeitgenössischen Schriftsteller lobend 
erheben, schildert ihn Tacitus (Annal. VI, 51) als einen boshaften 
und grausamen Tyrannen. Mit sicherem Blick erkannte Tiberius, daß 
es nicht einer meiteren Ausdehnung des römischen Reiches bedürfe. Die 
Provinzen verlebten unter ihm bei dem geringen Wechsel der Statthalter 
eine glückliche Zeit. Den Germanicus, roelcher auf drei Feldzügen in 
Germanien (14—16, f. S. 26) reiche Lorbeern erworben, rief er aus 
seiner Siegesbahn ab und sandte ihn nach Syrien, wo er starb, wahr¬ 
scheinlich von dem dortigen Statthalter (Cn. Piso) aus dem Wege 
geräumt (19). Nach dem Tode des edlen und allgemein gefeierten 
Helden trat der finstere Argwohn des Tiberius immer gehässiger hervor. 
In den neu eingeführten ludicia maiestatis wurde jede freie Äußerung 
über die Regierung und die Person des Herrschers streng bestraft, und 
das Heer der Angeber (delatores) bewies, wie sehr der alte Re- 
publikanersinn geschwunden war. Besonders seitdem Tiberius dem Prae- 
fectus praetorio Älius Sejanus die Leitung der Geschäfte überlassen 
Stein, Lehrbuch der Geschichte f. ob. Kl. II. 1
	        
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