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Das Reich von 1440 bis 1517.
§92.
verfiel, weil es militärisch untauglich wurde, und das Söldnerheer forderte
große flüssige Kapitalien. Geldbewilligungen der Landstände aber waren
nur gegen Verzicht auf landesherrlichen Besitz oder landesherrliche Rechte,
bares Geld nur gegen Verpfändungen zu haben. So fühlte sich auch die
Territorialgewalt eingeschränkt, und Fürsten und Städte fingen an, sich mit-
einander auszugleichen.
Verluste an Gleichzeitig erlitt auch das Reich neue Verluste an den Grenzen,
den Grenzen, j von Dänemark wurde Herzog von Holstein; im zweiten
Thorner Frieden (vgl. § 83) mußte der Deutsche Orden das Weichsel-
land an Polen abtreten. Böhmen und Ungarn gingen der habsbur-
gischen Hausmacht verloren. Hier wurde Matthias Corvinus, der
Sohn des Johann Hunyadi (vgl. § 85), dort der Utraquift Georg von
Podiebrad als König anerkannt. Matthias dehnte seine Herrschaft auch
über Schlesien, Mähren und die Lausitz aus und vertrieb den Kaiser aus
Wien. Erst nach dem Tode des Ungarnkönigs wurde Friedrich von
seinem Sohne Maximilian in seine Hauptstadt zurückgeführt; bald
darauf erwarb dieser (im Frieden zu Preßburg) die Anwartschaft auf die
Nachfolge in Böhmen und Ungarn.
Unterdessen hatte dem Deutschen Reiche auch im Westen eine ähnliche
Gefahr durch die burgundische Macht gedroht.
Burgund. Auf dem Boden des ehemaligen Reiches Lothars (vgl. § 39) war im
14. und 15. Jahrhundert ein Zwischenreich zwischen Deutschland und Frank-
reich, das Herzogtum Burgund, entstanden. Seine Herzöge entstammten
der französischen Königsfamilie; ihr ursprüngliches Gebiet lag an den Flüssen
Saöne und Rhone. Philipp der Kühne, der Sohn Johanns von Frank-
reich, hatte von seinem Vater (1363) das französische Herzogtum Bur-
gund und von Karl IV. die zum Deutschen Reiche gehörende Freigraf¬
schaft Burgund (die „Franche-Comte") erhalten. Durch Heirat und Erb-
schast erwarben seine Nachkommen fast die sämtlichen Herzogtümer und Graf-
fchaften in den Niederlanden hinzu. Ihren Einnahmen aus den durch
Industrie und Handel blühenden Städten (Gent, Brügge) verdankten sie es, daß
sie die reichsten Fürsten Europas wurden.
Schon Philipp der Gute hatte die Absicht, die gesamten Lande
zu einem unabhängigen lothringischen Königreiche zu erheben. Seinem
KäriderSohne Karl dem Kühnen (1467—1477) schien die Verwirklichung zu
Kühne, gelingen. Er trat mit Friedrich III. hierüber in Trier in Unterhand¬
lung (1473); er forderte die Erhebung zum Könige und bot ihm dafür die
Hand seiner Tochter Maria für feinen Sohn Maximilian. Aber die
Begegnung führte zu keinem Ergebnis. Nach einem Angriff auf die
Rheinlande, der vor Neuß scheiterte, gewann Karl bald darauf durch
die Eroberung Lothringens die Verbindung zwischen der Nord- und
Südhälfte feiner Besitzungen. Doch verfeindete er sich mit allen feinen
Nachbarn. Beim Einmarsch in die Schweiz wurde er von einem eidgenösst-
unbfchett Heere bei Granson (am Neuenburger See) geschlagen (1476); drei
(1476)" Monate später erlitt er bei Murten (westlich von Bern) eine vernichtende