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Das Zeitalter der Reformation.
war (vgl. § 91), verließ die Nation, durch jahrhundertelange Glanbenskämpfe
gestählt und durch strenge kirchliche Disziplin mit Hingebung und Be-
geisterung für den reinen katholischen Glauben erfüllt,1 ihre Sonderstellung
und übernahm unter den habsbnrgischen Königen die Führung in Europa.
Im Südosten endlich bildete das osmanifche Weltreich eine beständige
Gefahr für das christliche Europa.
Eine völlige Neugestaltung erfuhr dieses europäische Staatenfystem wie
das gesamte geistige Leben des Abendlandes durch die deutsche Reformation.
A. Das Zeitalter der Reformation (1517—1555).
1. Die deutsche Reformation vom Auftreten Luthers bis zum
Nürnberger Religionsfrieden (1517—1532).
§ 96. Dr. Martin Luther bis zum Ausscheiden aus der alten Kirche.
Luther Martin Luther, geboren am 10. November 1483 zu Eisleben, war
(1483-1546). fcer Sohn eines aus Möhra in Thüringen zugewanderten armen Berg-
mannes. Als der Vater bald darauf nach Mansfeld übersiedelte, besserten
sich seine Verhältnisse, so daß er daran denken konnte, feinem Sohne eine
gelehrte Bildung zu geben. Der Knabe besuchte die Schulen in Mansfeld,
Magdeburg und Eisenach. Im Jahre 1501 bezog er die Universität Erfurt,
zunächst, um nach dem Wunsche des Vaters Jura zu studieren. Den
humanistischen Kreisen blieb er fern, obwohl er die Alten las und wegen
ihrer praktischen Lebensweisheit schätzte. Nachdem er (1505) Magister artium
geworden war, trat er, von quälenden Zweifeln getrieben, in das Augustiner-
kl oft er ein und unterwarf sich hier der strengsten Askese, ohne innerlich
Ruhe zu finden. Der Ordensvikar von Staupitz verwies ihn auf_ das
Studium der Heiligen Schrift und der Kirchenväter, besonders des Augustinus.
Zum Priester geweiht, siedelte er (1508) nach Wittenberg über und ent-
faltete daselbst im Dienste feines Ordens als Seelsorger, Prediger und
Professor an der jungen Universität (vgl. § 94) eine vielseitige Tätigkeit.
Hier bildete er bereits die Grundgedanken seiner Lehre aus. 1511 weilte
er im Austrage seines Ordens in Rom.
Der Ablaß- In weiteren Kreisen wurde Luther durch den Ablaßstreit bekannt.
,treit- Im Jahre 1517 schrieb Papst Leo X. für alle, die einen Geldbeitrag zum
Neubau der Peterskirche in Rom (vgl. § 90) leisten würden, einen Ablaß,
d. h. Erlaß der Kirchenbuße und der zeitlichen Sündenstrafen, aus und
beauftragte den Erzbifchof Albrecht von Mainz, ihn auszuteilen. In
deffen Diensten verkündete der Dominikanermönch Johann Tetzel in
Kurbrandenburg und dem Erzbistum Magdeburg den „vollkommensten
Erlaß aller Sünden"; im benachbarten Kursachsen hatte Friedrich der Weise
ihm den Ablaßhandel untersagt. Obgleich die ihm erteilte Anweisung aus-
i Die Inquisition (vgl. § 59) wurde in Spanien damals ein königliches Institut;
der erste „Großinquisitor" Torquemada hat Tausende von Ketzern dem Feuertode
überliefert.