§96.
Dr. Martin Luther bis zum Ausscheiden aus der alten Kirche.
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drücklich „Buße und Reue" verlangte, erweckte er durch die Art seines Auf-
treteus den Glauben, als könne Gnade und ewiges Leben für Geld erkauft
werden. Dieses Verfahren fand vielfach Mißbilligung. Daher heftete
Luther am 31. Oktober 1517, am Vorabend des Allerheiligenfestes,
95 Thesen (Disputationssätze) an die Tür der Schloßkirche zu Witten-
berg an, forderte zu einer öffentlichen Verhandlung über den Sünden-Oktober
erlaß auf und sandte seine Thesen auch dem Erzbischof von Mainz mit isiv).
einer eingehenden Begründung und der Bitte, sie in Rom vorzulegen.
Die Thesen verbreiteten sich rasch über ganz Deutschland und wurden
überall eifrig erörtert; auch erschienen Gegenschriften.
In Rom wurde der Prozeß wegen Ketzerei gegen ihn anhängig
gemacht und er aufgefordert, sich persönlich seinen Richtern zu stellen.
Der Vermitteluug Friedrichs des Weisen hatte es Luther zu verdanken,
daß ihn der Kardinal Cajetanus, der 1518 als päpstlicher Legat ben w<m.
Reichstag in Augsburg besuchte, dorthin beschied. Den von ihm geforderten
Widerruf verweigerte er und floh bei Nacht, da er eine Gewalttat fürchtete.
An den Papst übersandte er eine Schrift, indem er sich „von dem falsch
unterrichteten an den besser zu unterrichtenden Papst" berief. Kurz darauf
erklärte er sich in Altenburg dem päpstlichen Kammerherrn von Miltitz Miltitz,
gegenüber bereit, seine Angelegenheit der Entscheidung eines deutschen
Prälaten zu unterbreiten, und versprach, zu schweigen, wenn seine Gegner
auch schwiegen. Bis dahin hatte Luther weder die Kirche selbst an-
gegriffen, noch war er sich klar darüber, daß er sich innerlich schon von
ihr getrennt hatte.
Der Bruch mit der römischen Kirche trat bei der Disputation zu Leipzig«
Leipzig (1519) zwischen Dr. Eck aus Ingolstadt und dem Wittenberger^utaw»
Professor Karl st ad t, dem Luther beistand, zutage. Man stritt über den
Primat des Papstes, die Meinungen von Hns, die Stellung der Konzilien.
Dabei fielen die entscheidenden Worte, die eine Absage an die Autorität
des Papstes und der Konzilien enthielten; obwohl Luther die Worte in
ihrer Schärfe zu mildern suchte, nahm er sie nicht zurück. Fortan wurde
er der Führer der Nation in ihrem Kampfe gegen die päpstliche Kurie.
Denn alles, was das deutsche Volk schon zur Zeit des Schismas als
Mißstände der Kirche und Übergriffe der Kurie bekämpft hatte, lastete,
seitdem die Reformversuche der Konzilien ohne Ergebnis verlaufen waren,
doppelt schwer auf ihm und hatte die Feindschaft gegen jene um so mehr
verschärst, je weltlicher das Leben der hohen Geistlichkeit unter dem Ein-
fluß humanistischer Anschauungen und ber nieberen unter einer schlaffen
Kirchenzucht geworben war.
Seit 1518 wirkte der erst zwanzigjährige Philipp M e l a n ch t h o n M-ianchthon.
(Schwarzerd) als Lehrer des Griechischen in Wittenberg (vgl. § 94). Wie
Luther von ihm die Ursprache des Neuen Testamentes lernte, so nahm er bie
Gedanken Luthers in sich aus. Melanchthon war es, der ben Lehren Luthers
ihre klare, allgemein verständliche Form gab. Zunächst vermittelte er die
Verbindung mit den Humanisten; Erasmus trat mit ihm und Luther in
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