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Allgemeine Übersicht.
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social«, der in demselben Jahre erschien, die Grundzüge der Staatsverfassung
und lehrte daselbst, der Mensch gebe seine Freiheit nicht auf, auch wenn er
sich einem Staate unterwerfe. Naturgemäß erschien ihm die absolute Mon-
archie, in der der Untertan zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet ist, am
wenigsten dazu geeignet, den Menschen zu dem zu machen, der er von Natur
sein soll. Die Freiheit, die er hierzu braucht, kann ihm nur die Republik,
in der das Volk sich selbst regiert, verbürgen. Sie entspricht auch am besten
dem wahren Wesen des Staates. Denn dieser ist hervorgegangen aus dem
freien Entschluß der Bürger, einen Staat zu gründen, er beruht auf dem
Vertrage, den sie miteinander geschlossen haben; ist er aber durch Vertrag
geschaffen, so kann er auch durch Kündigung des Vertrages wieder ausge-
hoben werden. Alle Staatsgewalt stammt also vom Volke, wird von ihm
übertragen und kann von ihm genommen werden — nur das Volk ist
souverän. Wann und wo freilich in der geschichtlichen Wirklichkeit ein
solcher Vertrag geschlossen wurde und die Übertragung der Staatsgewalt an
ein Oberhaupt stattgefunden hat, sagt der in rein abstrakten Theorien sich
bewegende Rousseau nicht. — Gleichwohl gewann er durch die hinreißende
Form, in die er seine Gedanken einkleidete, den größten Einfluß auf Mit«
und Nachwelt, namentlich als in Nordamerika eine Republik entstanden war,
die sich im Kriege siegreich behauptete und günstig weiterentwickelte. Nun
wurde die Überzeugung allgemein, daß die Republik die beste Verfassung
sei, während der Mensch in einem unwürdigen Zustande lebe, wo er als
Untertan unbedingt gehorchen müsse. Namentlich in Frankreich, wo der
Zustand der Monarchie jene großen Mängel auswies, schlug Rousseaus Lehre
kräftig Wurzel. Aus dieser Umwälzung der Anschauungen entsprang die
große Revolution.
Von Nordamerika ausgehend, wurde sie zunächst in Frankreich Der Gang
fortgesetzt und führte fast in allen Staaten Europas tiefgehende Verände- bctni?ireet9'
ruugen des öffentlichen Lebens herbei.
Im besonderen vernichtete sie in Frankreich die alte Monarchie mit
ihren Stützen, der Hierarchie und den privilegierten Ständen, und leitete
einen Ungeheuern Wechsel im Besitz an Grund und Boden ein; der führende
Stand im Staatsleben wurde der dritte Stand, der Bürgerstand. Aber
die Republik, zu der die Revolution führte, war nur eine vorübergehende
Erscheinung. Sie bereitete den Neubau der Verfassung nur vor, ohne ihn
zu vollenden. Erst von Napoleon wurde auf den Grundlagen der Revolution
dieser Neubau geschaffen; er hat sich im wesentlichen trotz des Wechsels der
Regierungen bis jetzt erhalten.
Durch Napoleon gewann die Revolution auch auf die Nachbarstaaten
Einfluß. Von vornherein mußte das revolutionäre Frankreich mit dem alten
Europa im Kriege zusammenstoßen; aber erst Napoleon gewann durch seine
siegreichen Kriege die Möglichkeit, in die innern Verhältnisse der Nachbarstaaten
einzugreifen. In Deutschland wurde das alte Reich zertrümmert; Hunderte
von Reichsständen verschwanden, die übrigbleibenden wurden auf breiterer
Grundlage aufgebaut, fast alle empfingen den Anstoß zu großen Reformen.
Trotz aller Erschütterungen und Wandlungen behaupteten aber die
großen Mächte, die sich im vorhergehenden Zeitalter ausgebildet hatten,
nicht nur ihren Bestand, sondern vergrößerten sich zum Teil und gewannen
an innerer Stärke.