Rußland unter Katharina II.
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Kriegen gegen die Türken erwarb sie das Land zwischen Dujepr, Dnjestr
und Bug sowie die Schutzherrschaft über die Moldau und Walachei.
Den russischen Schiffen wurde fortan freie Fahrt auf dem Marmarameer
und durch die Straße der Dardanellen gestattet. Katharinas Günstling
Potemkin eroberte die Krim und gründete daselbst Sewastopol. Die
wirtschaftliche Bedeutung dieser Eroberungen zeigte sich in dem raschen
Aufblühen der von Katharina gegründeten Hafenstadt Odessa.
Doch auch nach Westen versuchte sie ihr Reich zu erweitern und, 2. Teilung
nicht zufrieden mit dem Ergebnis der ersten Teilung Polens, den Rest <1°^
dieses Landes zu erwerben oder wenigstens unter ihren Einfluß zu bringen.
Preußen, dessen Lebensinteressen durch dieses Bestreben berührt wurden,
mußte sich entscheiden, ob es die Alleinherrschaft der Russen in Polen
dulden oder durch eine neue Teilung ihren Fortschritten Schranken ziehen
sollte. Da die Wahl nicht zweifelhaft sein konnte, solange man Thorn
und Danzig nicht besaß, sammelte Friedrich Wilhelm ein Heer an der
polnischen Grenze; hierauf willigte Katharina in die zweite Teilung
Polens (1793). Außer den genannten beiden Städten erwarb Preußen
die großpolnischen Lande um Posen, Gnesen und Kalisch (Provinz Süd-
prenßen) und gewann dadurch eine bessere Verbindung zwischen Schlesien
und Ostpreußen. Seitdem verfolgte Österreich, das dieser Teilung
ferngeblieben war, eine Preußen feindliche Politik.
Im Jahre 1794 erhoben sich die Polen unter Thaddäus Kosciusko. 3.Teilung
Während Friedrich Wilhelm sein Heer bis vor die Tore von Warschau
führte, nahmen die Russen unter Snworow Praga, die Vorstadt War-
schaus, im Sturm. Darauf folgte die dritte Teilung Polens (1795).
Preußen erhielt Warschau, den Rest von Masovien und das Land zwischen
Weichsel, Bug und Njemen (Provinz Nen-Ostpreußen), auch Teile des
Gebietes von Krakau Keu-Schlesien), Österreich Westgalizien mit Krakau,
Rußland den Rest mit Kurland, mehr als seine beiden Verbündeten zu-
sammeu. Stanislaus Poniatowski, der letzte König von Polen,
dankte ab.
Preußen gewann durch die beiden Teilungen einen Gebietszuwachs von Bedeutung
etwa 110 000 qkm; da jedoch nach dieser Erwerbung das polnische Element Teilungen,
zwei Fünftel seiner Bevölkerung ausmachte, verlor der Staat seinen rein-
deutschen Charakter. Rußland hatte seine Grenzen um etwa 600 km nach
Westen vorgeschoben und sich die Möglichkeit, seine Macht in Mitteleuropa
geltend zu machen, bedeutend erleichtert. Für Preußen entstand dadurch eine
ganz neue politische Lage, daß es jetzt auf eine Strecke von mehr als 500 km
den größten Staat Europas zum Grenznachbarn erhalten hatte. Wie schwach
auch die Macht Polens zuletzt gewesen war, so hatte sein Gebiet doch immer¬
noch eine trennende Schranke (einen „Pufferstaat") zwischen Preußen und
Rußland gebildet. Seitdem diese weggefallen war, mußte das Berliner
Kabinett bei seinen politischen Entschließungen auf diesen mächtigen Nachbarn
noch mehr als bisher Rücksicht nehmen.