Die französische Revolution und die Revolutionskriege.
109
der Urwähler wie die der Wahlmänner, faßten ihre Beschwerden
in längeren Aufsätzen (<cahiers) zusammen. Nach dem Dekret vom
Dezember 1788 (§ 89) sollten bei den Generalständen die drei
alten Stände: Geistlichkeit, Adel und Tiers Etat, so vertreten sein,
daß der dritte Stand ebensoviel Mitglieder hatte wie die beiden
anderen zusammen. Tatsächlich wurden 285 Edelleute, 308 Geist¬
liche und 621 Abgeordnete des dritten Standes gewählt. Doch
standen von den Gewählten viele Edelleute und fast durchweg
die Pfarrer, etwa 200, auf der Seite des dritten Standes.
Am 5. Mai 1789 wurde in Versailles die Versamm¬
lung der Reichsstände mit einer Thronrede des Königs und
einem Finanzberichte Neckers eröffnet, der aber die Finanz¬
lage viel zu günstig darstellte. Gegen die Erwartung bestimmte
die Regierung, daß die Stände in der alten Form nach Ständen
(;par ordre) und nicht nach Köpfen (par tetes) abstimmen sollten,
so daß dem dritten Stand sein Übergewicht an Stimmen nichts
nützte. Dieser verweigerte daher den Eintritt in förmliche Be¬
ratungen. Nach langen vergeblichen Verhandlungen mit der Regie¬
rung und den anderen Ständen nahm er auf Sieyes’ Rat die
Prüfung der Vollmachten auch der Adligen und Geistlichen vor,
als ob die gemeinsame Tagung der drei Stände selbstverständ¬
lich sei. Wer beim Aufruf sich nicht meldete, wurde als nicht
erschienen betrachtet. Darauf konstituierte sich der dritte Stand
als die Versammlung aller Vertreter der Nation und nahm
am 17. Juni den Namen Nationalversammlung (assemblee nationale)
an. Am 20. Juni schwuren die Mitglieder im Ballspielhaus, sich
nicht zu trennen, bis Frankreich eine Verfassung habe. Das hieß
die Beseitigung des alten Frankreich und bedeutete den Anfang
der Revolution. Als Ludwig XVI. in der königlichen Sitzung vom
23. Juni, der letzten prunkvollen Schaustellung des französischen
Absolutismus, befahl nach Ständen abzustimmen, widersetzte sich
der dritte Stand offen (Mirabeau). Da trotzdem ein großer Teil
des Adels und der Geistlichkeit in die Nationalversammlung eintrat,
befahl der König am 27. Juni auch den noch übrigen Mitgliedern
der beiden ersten Stände, gemeinsam mit den anderen zu tagen
und erkannte so die Nationalversammlung an. Das Königtum
streckte damit vor dem dritten Stande die Waffen.
Um die schwere Niederlage auszugleichen, zog die Regierung
Truppen zusammen. Necker wurde entlassen, und die Stände
sollten in der Provinz tagen. Indessen wuchs in Paris die Unruhe.
Die Truppen zeigten sich unzuverlässig und mußten aus der Haupt¬
stadt zurückgezogen werden. Da wandte sich das Volk
gegen die Bastüle. Die geringe Besatzung des Staatsgefäng¬
nisses ergab sich ohne eigentliche Verteidigung. Ein Mit¬
glied der Nationalversammlung wurde zum Bürgermeister von Paris
1789
14. Juli
Eröffnung
der Etats
generaux
National¬
versamm¬
lung
Sturm auf
die Bastille