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Das Zeitalter der Verfassungs- und Einheitskämpfe
seinem Bruder auf den Thron. Er ließ sich wie seine bourbonischen
Vorfahren in Reims krönen und zeigte immer deutlicher das Be¬
streben, absolut und in streng katholischem Sinn zu regieren. Trotz
der Unterwerfung Spaniens (§ 135)» der Beteiligung am türkischen
Krieg (§ 142) und der Eroberung Algiers 1830 stieg die Mißstim¬
mung im Innern.
Als sich bei den Wahlen von 1830 die Opposition in
der Kammer sehr verstärkte, suchte Karl X. durch die ,,Juli-
Ordonnanzen“ (Auflösung der Kammer, Beseitigung der Preßfrei¬
heit, beschränkendes Wahlgesetz) ihr entgegenzutreten. Aber eine
Volkserhebung in Paris war die Antwort. In heftigen
Barrikadenkämpfen vom 27. —29. Juli versagten die Truppen.
Karl X. verlor wider Erwarten rasch den Mut und dankte zugunsten
seines Enkels, des Grafen v. Chambord, ab (Stammtafel). Aber
weder dieser wurde als König anerkannt, noch die Republik, vor
der die besitzenden Klassen sich scheuten, ausgerufen; vielmehr
erhielt auf Betreiben des alten Lafayette der nächste bourbonische
Agnat, der Herzog Louis Philipp v. Orleans, als König der Franzosen
die Krone. Das Bürgertum erwartete von ihm ein aufrichtig kon¬
stitutionelles Regiment. Für Frankreich begannen „die goldenen
Tage der Bourgeoisie“.
Romantik § 145- Geistesleben. In dem ersten Drittel des 19. Jahr-
hunderts nahmen die Wissenschaften im Anschluß an die Wert¬
schätzung, die die Romantik dem Volksgeist entgegenbrachte, einen
glänzenden Aufschwung (§ 118). Große Werke, wie die Samm¬
lungen der lateinischen und griechischen Inschriften, der Kirchen¬
väter, die Kommentare zu alten Schriftstellern u. dgl. entstanden.
Im Mittelpunkt aller wissenschaftlichen Interessen und Be-
phiiosophie Strebungen der Zeit stand immer noch die Philosophie (§ 121). Der
Geschichtsphilosoph Hegel, der seit 1818 in Berlin wirkte, wu^e
in allen philosophischen Fragen unumschränkter Gebieter. Mit
Hilfe der dialektischen Methode glaubte er alle Erscheinungen der
Natur wie des geistigen Lebens aus der Entwicklung des „ab¬
soluten Geistes“, zu dem er Schellings „absolutes Ich“ erweitert
hatte, erklären zu können. H e r b a r t legte den Grundstein zu einer
auf der Kenntnis der menschlichen Seele (Psychologie) aufgebauten
Erziehungslehre. Aber er und mancher andere Philosoph (§ 154)
kamen erst viel später zur Anerkennung.
Historische Unter Savignys Führung entstand in Deutschland die Histo-
schui^und rische Rechtsschule; ebenso wie er kämpfte Eichhorn gegen das
Geschichte Vernunftrecht. Niebuhr (Römische Geschichte) wies die Entstehung
der römischen Sage aus dem Volksgeiste nach. Zur Untersuchung
der vaterländischen Begebenheiten regte Frhr. v. Stern 1819 die