§101.
Die politische Teilung der Nation.
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Predigten gegen den Ablaß; obwohl in seiner reformatorischen Tätigkeit
von Luther beeinflußt, ging er bald in der Fassung der Lehre wie in der
Gestaltung des Gottesdienstes eigene Wege und kam in Hauptpunkten zu
abweichender Meinung. Namentlich zeigte er auch eine weit stärkere Hin-
neigung zum Humanismus (Erasmus) und zur Politik als Luther. Der Rat
in Zürich übernahm das Kirchenregiment. Politische Reformen der Eid-
genossenschast wurden in Aussicht genommen, stießen aber auf den Wider-
stand der Urkautoue, die altgläubig blieben. Der alte Plan eines engeren
Anschlusses Oberdeutschlands an die Schweiz (vgl. § 82) trat wieder hervor.
§ 101. Die politische Teilung der Nation.
Die im Mittelalter begründete enge Verbindung der kirchlichen Angelegen-
heiten mit den staatlichen brachte es mit sich, daß die kirchliche Spaltung
der Nation auch eine politische Trennung der Reichsstände zur Folge haben
mußte. Es geschah dies in der Weise, daß sich auf beiden Seiten Sonder-
bünde zusammenschlössen, deren Mitglieder sich zu gemeinsamem Handeln
insbesondere auf den Reichstagen verpflichteten. In dem Maße, tote die kirch¬
liche Frage zu einer politischen Machtsrage wurde, erhöhte sich die Bedeutung
der materiellen Interessen (§. B. der geistlichen Rechtsprechung, des Besitzes
der kirchlichen Güter).
Nachdem sich das (1521 wieder eingesetzte) Reichsregiment (vgl. § 93)
zur Durchführung des Wormser Ediktes unfähig gezeigt hatte, schloß (1524)
Ferdinand von Österreich mit den bayrischen Herzögen und den süd-
deutschen Bischöfen zu Regensburg ein Bündnis zum Schutz der alten
Lehre. Erst nach dem Bauernkriege kam in Norddeutschland auch ein Konvent.
Bündnis Evangelischer zustande. Wie man im Süden den Sieg über
die Bauern dazu benutzt hatte, um die „Prädikauteu" zu verfolgen, so
schlug Georg von Sachsen den norddeutschen Fürsten nach der Schlacht
bei Frankenhausen vor, sich zusammenzutun, um die „verdammte lutherische
Sekte" auszurotten. Der Plan scheiterte am Widerstande Johanns (des
Beständigen) von Sachsen und des Landgrasen Philipp von Hessen.
Beide verbündeten sich (1526) zu Torgau mit mehreren norddeutschenT°rg°uer
Fürsten und der Stadt Magdeburg. In Abwesenheit des Kaisers wurde
1526 zu Speyer ein Reichstag gehalten und beschlossen, jeder Reichs-y*°t9
stand solle sich in Sachen der Religion so verhalten, wie er es „gegen i526.
Gott und kaiserliche Majestät hoffe und vertraue zu verantworten". Diesen
Abschied legten Luthers Anhänger zu ihren Gunsten aus und fuhren fort,
in ihren Ländern zu reformieren. So führte Landgraf Philipp die
Reformation in Hessen ein und gründete (1527) die erste evangelische
Universität zu Marburg.
Auf dem zweiten Speyerer Reichstage (1529) aber fand sich eine^min
geschlossene katholische Mehrheit zusammen. Gegen ihren Beschluß, das 1529.
Wormser Edikt wieder einzuschärfen, legte die Minderheit Protest ein,
von dem sich der Name „Protestanten" herschreibt.