§ 9. 10.
Aus der Sittengeschichte. —
Die römische Literatur.
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während Persius und Juvenalis in ihren strafenden Satiren düstere
Schilderungen von dem Leben ihrer Zeitgenossen entwarfen. Wer aber
inmitten dieses Verfalls nach festen Regeln für fein Handeln suchte und
den Vorfahren ähnlich zu werden wünschte, wandte sich der stoischen
Philosophie zu. Seueca aus Cordoba in Spanien, der Lehrer Neros,
gab ihren Gedanken in glänzender Form Ausdruck. Der gefeiertste Ver-
treter ihrer Lehren aber wurde der Sklave, später Freigelassene eines
Günstlings Neros, Epiktet; Geduld und Enthaltsamkeit war der Grund-
satz seiner Ethik. Niemals zählte die stoische Philosophie mehr Anhänger
als damals; da sie das republikanische Staatsideal pflegte, wandten sich
ihr alle zu, die die kaiserliche Despotie verwarfen; ihre Lehrer erlitten
daher wiederholt Verfolgungen. Im 2. Jahrhundert gewann die Schule
sogar unter den Kaisern Anhänger; Mark Aurel wurde ihr letzter uam-
hafter Schriftsteller.
Unzweifelhaft zeigte das Leben unter Nervei und seinen Nachfolgern Humanitäre
weniger abschreckende Züge als unter den Jnlisch-Clandischen Kaisern. itre6®engen.
Man wollte im Geiste der Zeit eine gewisse Humanität zeigen, indem
man Stiftungen für Kinder armer Leute machte, aus denen ihnen bis
zu einem bestimmten Lebensalter der Unterhalt gereicht wurde sAlimen-
tattonen). Auch wurde dem Herrn das Recht genommen, feinen Sklaven
zu töten. Aber den langsam fortschreitenden wirtschaftlichen Verfall konnte
man nicht aufhalten; fchon Hadrian sah sich genötigt, Steuernachlüsse zu
bewilligen. Mit tiefem Pessimismus beurteilt Mark Aurel seine Zeit.
tz 10. Die römische Literatur. Nachdem bereits in den letzten Jahr-
zehnten der Republik die Redekunst durch Cicero, die Geschichtschreibung
durch Sallust und Cäsar, die Dichtung durch Lukrez und Catull Höhe-
punkte erreicht hatten, führte nach den Stürmen der Bürgerkriege die fried-
liche Zeit des Augustus und die Gunst des C. Cilnius Mäceuas das
goldene Zeitalter der römischen Literatur heraus. Vergil feierte inDas goldene
seinem Nationalepos „Äneis" den Ahnherrn des Jnlifchen Hanfes; Ovid etta er'
dichtete seine Metamorphosen, Fasten und Tristieu, Tibull und Properz
ihre Elegien; Horaz spottete in seinen Episteln und Satiren, in denen
er sich originell zeigte, über die Gebrechen seiner Zeit und ahmte in
seinen Epoden und Oden griechische Vorbilder nach. Livius schrieb seine
Römische Geschichte von den Anfängen der Stadt bis zum Tode des
Drusus (9. v. Chr.).
Bald nach Angnstus begann der Niedergang. Doch hatte die römische
Literatur noch eine Nachblüte, ein silbernes Zeitalter, das man bis
zu den Zeiten Hadrians rechnet. Unter Domitian und Trajan schrieb
Tacitns seinen Agricola, die Historiae, die Libri ab excessu divi
Augusti, die Germania. Etwas später verfaßte Sneton seine Kaiser-
biographien. Schon vorher stellte Plinins der Ältere eine Historia
naturalis zusammen; sein Nesse und Adoptivsohn Pliuius der Jüngere
hinterließ mehrere Bücher Briefe. Quintilian verfaßte unter den