Full text: Geschichte der Neuzeit von 1648 bis zur Gegenwart (Teil 6)

Frankreich. 
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H 1. Richelieu und Mazarin. Am Ende des 16. Jahrhunderts war 
die Macht des Königs von Frankreich noch nicht unbeschränkt; wesentliche 
Rechte der obersten Staatsgewalt lagen in den Händen der Reichs stände 
(Etats generaux), einer Vertretung der Geistlichkeit, des Adels und des 
Bürgertums, und der Parlamente, d. h. der obersten Gerichtshöfe in 
Paris und in den Proviuzialhauptstädteu*). Die Parlamente behaupteten, 
daß königliche Erlasse erst durch die Eintragung in ihre Register Gesetzes- 
kraft erhielten, und übten damit tatsächlich das Recht der Steuerverweigerung 
aus. Überdies genoß der hohe Adel noch das Vorrecht des bewaffneten 
Widerstandes gegen Befehle des Königs, er hatte seine Selbständigkeit 
in den Religionskämpfen befestigt. Das Recht des Widerstandes hatte 
das Edikt von Nantes auch den Hugenotten gegeben, indem es ihnen 
mehrere feste Plätze einräumte. 
Im Kampfe gegen diese Kräfte ist die Monarchie geschaffen worden, 
die die gesamte Staatsgewalt in ihrer Hand vereinigte. 
1. Ihr vornehmster Begründer ist der Kardinal Richelieu, Frank¬ 
reichs größter Staatsmann im 17. Jahrhundert. Louis Fraucois Armand 
du Plessis, Herzog von Richelieu (geboren 1585), 1608 Bischof von Lueon, 
1621 Kardinal, wurde im Jahre 1624 von Ludwig XIII., dem Sohne 
Heinrichs IV., zum ersten Minister berufen. Er hielt zwei Ziele fest 
im Auge: im Innern jeden Widerstand gegen die volle Ent- 
faltuug der königlichen Gewalt zu brechen, nach außen Frank- 
reichs Macht auf Kosten des Hauses Habsburg zu vergrößern. 
Hieraus ergab sich der scheinbare Widerspruch, daß er deu Protestautismus 
außerhalb Frankreichs unterstützte, im eigenen Lande dagegen seiner Poli- 
tischen Vorrechte entkleidete. 
Richelieu hat die Reichsstände niemals berufen und die politischen 
Ansprüche der Parlamente zurückgewiesen. In schweren Kämpfen hat er 
den Adel niedergeworfen, obwohl die Königinmutter und der Bruder 
des Königs auf dessen Seite standen, ja nach dem Siege mehrere seiner 
vornehmsten Mitglieder auf das Schafott geschickt. Eine Empörung der 
Hugenotten im Bunde mit England gab ihm endlich Gelegenheit, ihnen 
ihre festen Plätze, darunter La Rochelle, zu entreißen und ihre politische 
Sonderstellung zu beseitigen. Ihre Religionsfreiheit tastete er nicht an. 
Gleichzeitig trat er in den Niederlanden, Italien und Deutschland 
der habsburgischeu Macht entgegen. Mit Gustav Adolf schloß er 
1631 den Vertrag zu Bärwalde und zahlte seitdem den Schweden Sub- 
sidieu. 1635 begann er den großen Krieg gegen Spanien. 
2. Mazarin, ein Italiener von Geburt, eine weniger groß ange¬ 
legte Persönlichkeit als Richelieu, aber einer der geschicktesten Diplomaten, 
setzte als erster Minister unter der Königin Anita, die für ihren Sohn 
*) Die Stellen an diesen Parlamenten waren erblich und käuflich, und es bildete 
sich allmählich aus dem Kreise der Familien, deren Mitglieder sie zu besetzen pflegten, 
ein Parlamentsadel heraus (Noblesse de robe; robe, das richterliche Amtskleid,'.
	        
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