Der Krieg gegen die Republik.
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§ 116. Die Kaiserproklamation in Versailles. Schon bei der
Beratung über die Verfassung des Norddeutschen Bundes hatten sich alle
Beteiliqten in dein Gedanken zusammengefunden, daß die damalige Be¬
grenzung des Bundesgebietes nicht auf die Dauer bestehen dürfe. Schon
damals hatte man den Eintritt der süddeutschen Staaten ms Auge gefaßt.
Das große weltgeschichtliche Ereignis des deutsch-französischen Krieges
erfüllte nun die deutschen Stämme mit dem Bewußtsein, daß die Zeit für
volle staatliche Vereinigung aller Teile Deutschlands gekommen
sei. Die erste Anregung zu dem Abschluß eines engeren Verfafsnngs-
bündnisses gab gleich nach der Schlacht von Sedan der König Ludwig II.
von Bayern. Nachdem darüber in Versailles Verhandlungen zwischen
Preußen und den süddeutschen Regierungen geführt worden waren, kamen
am 15. November die Verträge mit Hessen und Baden, am 23. mit
Bayern, am 25. mit Württemberg zustande. Sodann richtete Komg
Ludwig im Namen der übrigen Fürsten an den König Wilhelm em
Schreiben, worin er in Anregung brachte, daß der neu begründete Deutsche
Bund den Namen „Deutsches Reich" und der König als Haupt des
Bundes den Namen „Deutscher Kaiser" annehmen sollte. Vereint mit
den Fürsten trug auch der Norddeutsche Reichstag in emer Adresse
die Bitte vor, es möge des Königs Majestät gefallen, „durch Annahme
der Kaiserkrone das Einigungswerk zu weihen". Eine Deputation des
Reichstages übergab dem König die Adresse in Versailles.
Darauf fand in dem Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles am
18. Januar 1871, dem 170 jährigen Gedenktage des preußischen König-
tums, die feierliche Proklamation des Deutschen Kaiserreiches statt.
Bismarck verlas die Urkunde, in der König Wilhelm erklärte, daß er und
seine Nachfolger an der Krone Preußen fortan den kaiserlichen Titel führen
würden. Sie schloß mit den Worten: „Uns aber und Unseren Nach-
folgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des
Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an
den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohl-
fahrt, Freiheit und Gesittung." Das erste Hoch auf Wilhelm I. als
Deutschen Kaiser brachte Großherzog Friedrich von Baden aus.
§ 117. Die Kapitulation von Paris und der Friede. Am 5. Januar
begann die Beschießung der Südfront von Paris, von einigen der deutschen
Batterien konnte die Stadt selbst beschossen werden. Am 19. Januar
wurde der letzte große Ausfall am Mont Valerien abgeschlagen.
Wenige Tage daraus traten auch die Batterien auf der Nordfront in
Tätigkeit und brachten die Forts bei St.-Denis nach mehrtägiger Be-
schießung völlig zum Schweigen.
Da die Nahrungsmittel in der Stadt knapp wurden, der letzte Aus-
fall gescheitert und, wie man zuverlässig erfuhr, auf Entsatz von außen
her nicht mehr zu rechnen war, so mußte die Regierung in Paris Unter-
Handlungen wegen eines Waffenstillstandes anknüpfen.