Full text: Ausgewählte Abschnitte aus Quellenschriften und hervorragenden Geschichtswerken nebst einer Einleitung über Geschichtsquellen (H. 5)

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9. Vorgeschichtliche Wandrungen. 
Was den religiösen Glauben anlangt, so haben die westarischen Völker ohne 
Zweifel schon einen ausgebildeten Naturkult und den Polytheismus mit nach Europa 
gebracht, da die Gruudzügeder Mythologie bei den europäischen Ariern übereinstimmen. 
Namentlich sind die drei Hauptgötter Wotan, Donar und Ziu (bei den Römern Jupiter, 
Vulkan und Mars, bei den Griechen Zeus, Hephästus und Ares) auch den Kelten 
und Slawen gemein, nur daß in der griechischen und römischen Mythologie neben 
Zeus und Jupiter noch Poseidon oder Neptun als besonderer Gott des Meeres, und 
Plutou oder Pluto als besonderer Gott der Unterwelt getreten sind. Spuren eines 
altern Monotheismus sind aber unverkennbar. Denn allen arischen Sprachen ist 
die Vorstellung von einem höchsten, allmächtigen Himmelsgott eigen. 
Also schon eine viel höhere Bildung, als wir sie heutzutage bei Indianern, Negern 
oder Malaien finden. Gleichwohl waren es nur Anfänge der Kultur. Ein einfaches 
Hirtenvolk tritt uns entgegen, dessen äußere Tätigkeit durch die Worte melken, mahlen, 
brauen, weben, spinnen, nähen und einige andre beinahe erschöpft scheint. Jahr- 
hundertelang mag es in friedlichem Stilleben seine Herden geweidet haben, ehe 
die Stunde der Trennung kam, ein Stamm nach dem andern sich absonderte und seine 
eignen Bahnen einschlug. Mit den Wandrungen aber begann der Kampf ums Dasein 
und der Eintritt in die Geschichte, d. h. die Entwicklung. Seitdem erkannten sich die 
Stämme nicht mehr als Brüder, und wo sie sich begegnen, treffen sie als Feinde 
aufeinander. Die ursprüngliche Stammverwandtschaft geriet in Vergessenheit 
und konnte erst nach Jahrtausenden auf künstlichem Wege durch die Wissenschaft 
wiederentdeckt werden. 
Es würde vergebene Mühe sein, nach den Gründen zu fragen, die einzelne Stämme 
bewegen konnten, das friedliche Stilleben zu verlassen, fremde Länder aufzusuchen 
und sich den Schicksalen einer ungewissen Zukunft anzuvertrauen. Und doch werden 
wir nicht fehlgehen, wenn wir, von einzelnen zufälligen Veranlassungen abgesehen, 
als den immer wiederkehrenden Hauptgrund der Trennung die Unzulänglichkeit 
der Weidereviere und die wachsende Menge des Volkes und seiner Herden angeben. 
Als keine weitere Ausbreitung nach Westen mehr möglich war, mußte man sich trennen. 
Die Wüste der Bucharei setzte der Ausbreitung bald ein unüberwindliches Hinder¬ 
nis entgegen. Das Bedürfnis eines weitem Nahrungsspielraumes trieb also zum 
Wandern. Genau so, wie das bei den Erzvätern des Alten Testaments, bei der 
Gründung phönizischer, griechischer und italischer Kolonien, bei der spätem Völker- 
wandrung der Kelten, Germanen und Slawen, und im wesentlichen auch bei 
unsrer heutigen Auswandrung der Fall ist.
	        
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