10. Karls des Großen KaiserkrönMg.
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10. Karls des Großen Kaiserkrönung.
Von Bernhard Niehues („Kaisertum und Papsttum im Mittelalter",
I. Band. Münster 1877, Coppenrath).
Karl der Große beherrschte am Schluß des 8. Jahrhunderts das Abendland. Es
fehlte ihm weder für die innere Verwaltung, noch für seine Stellung nach außen an
Macht Ansehen und Würde, aber es fehlte ihm an einem Rechtstitel, den man als
den Ausdruck und die Vertretung aller in seinem Reiche vereinigten Bestandteile
hätte bezeichnen können. Seinen Fahnen folgten Nationen und Völker, die einander
unbekannt und fremd waren. Von Benevent bis Dänemark, von den Marken Spa-
mens bis an die Nordgrenze Bayerns, vom Atlantischen Ozean bis tief in die Ebenen
Ungarns gehorchte man seinen Befehlen. Da vereinigten sich Spanier, Briten, Fran-
ken Friesen, Sachsen, Wenden, Bayern, Tschechen, Avaren, Langobarden und Römer
unter einem Zepter. Die Stellung und Rechte dieser Völker ihrem Beherrscher
gegenüber waren ebenso verschieden, wie ihre Länder und Charaktere. Bei den
Spaniern an die Stelle des Kalifen getreten, besaß Karl über die Bayern keine andern
Rechte, als deren frühere Herzöge. Die Sachsen hatte er zu verschiedenen Malen im
Felde besiegt und deren politischen Zusammenhang zerrissen; als er die Langobarden
seinem Reiche einverleibte, ließ er deren Staat in seiner ganzen Eigentümlichkeit und m
seinen altenEinrichtungenbestehen;es wechselte nurderMmederregierendenDynasüe.
Unter welchem Titel sollte er nun diesen so verschiedenen Volksstammen Mit
ebenso wechselnden Rechten gegenübertreten? Unter dem Namen emes Königs
dachte sich jedes Volk je nach seiner Vergangenheit oder seinem augenblicklichen Ver-
hältnis zum Reiche eine andre Person. Sollte das Ganze als eine Einheit erfaßt wer-
den so mußte es sich eine Würde schaffen, die, dem Gedanken der Einheit entsprungen,
zu all den verschiedenen Nationalitäten und Völkern in demselben Verhältnis stand.
Ms beim Untergange des Weströmischen Kaisertums germanische Völker und
Fürsten sich innerhalb der Grenzen des Reiches niederließen, fühlten ste sich nicht durch
das Recht des Siegers, nicht durch den augenblicklichen Besitz, noch durch die Schärfe
ihres Schwertes beruhigt, sondern baten in Konstantinopel um den Titel emes Kon-
suls oder Patrizius.' Auch damals noch wies der Orient mit Stolz auf seine Kaiser hm.
Noch gehörte Rom, der Kirchenstaat, noch gehörte Italien und der gesamte Okzident
unter die Idee der allumfassenden Kaiserwürde. Denn das Kaisertum hatte so lauge
bestanden und so beredte Zeugen seiner Macht und seines Glanzes hinterlassen, daß
es mit unauslöschlichen Zügen dem Gedächtnis der Menschheit eingeprägt war. Nicht
die Römer allein, auch die Deutschen hielten es für die höchststehende Form staatlicher
Ordnung und verbanden mit dem Namen des Kaisers den Begriff emer vollern,
ausgedehntem Gewalt, als der eines germanischen Königs war. Alkuin selbst stellte
das Oströmische Kaisertum über das Königtum seines Herrn.
Die alte Kirche hatte das Römische Kaiserreich als die von Gott gewollte staatliche
Ordnung der christlichen Menschheit angesehen und sich darum vielfach daran ange-
lehnt Rom, das Kaisertum und die Kirche fielen mehreren Kirchenvätern der Zeit
nach zusammen. Im Interesse der Kirche beteten sie für die Erhaltung Roms; der
Verfall der römischen Herrschaft erschien ihnen als eine Ankündigung des^desder
Welt. Diese Anschauung trug mit dazu bei, daß nach dem Untergang des Weftromi-
schen Reickes Konstantinopel die Hoffnung der Christen wurde und die Stadt Rom
so viele Jahrhunderte hindurch fast krampfhaft seine politische Verbindung mit ihm
festhielt. Nun war aber Konstantinopel immer tiefer gefallen und im Verlaus der