Full text: Quellenlesebuch (Heft 5. Erg.-H)

21. Belle-Alliance. 
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Blücher war am Morgen von Wavre aufgebrochen. Die alten Glieder wollten 
sich noch gar nicht erholen von dem bösen Sturze vorgestern, doch wer durfte dem 
Helden heute von Ruhe und Schonung sprechen? Lieber, rief er aus, will ich mich 
auf dem Pferde festbinden lassen, als diese Schlacht versäumen! Wohlgemut ritt 
er inmitten der Regimenter, die sich mit unsäglicher Anstrengung durch den tiefen 
Schlamm hindurcharbeiteten; ein Brand in Wavre hatte den Marsch erheblich ver¬ 
zögert. Die Soldaten frohlockten, wo der Feldherr sich zeigte, traten mit lautem Zuruf 
an ihn heran, streichelten ihm die Knie; er hatte für jeden ein ermunterndes Wort: 
„Kinder, ich habe meinem Bruder Wellington versprochen, daß wir kommen. Ihr 
wollt mich doch nicht wortbrüchig werden lassen?" Thielmann blieb mit dem dritten 
Armeekorps bei Wavre zurück, um den Rücken des Heeres gegen einen Angriff Grouchys 
zu decken, der in der Tat am Nachmittage auf Wavre heranzog. Die übrigen drei 
Korps nahmen den Marsch auf Chapelle St. Lambert; um 10 Uhr waren die Spitzen, 
um 1 Uhr die Hauptmasse der Armee dort auf den Höhen angelangt. Nun teilte sich 
* das Heer. Zieten mit dem ersten Korps marschierte geradeaus, in der Richtimg auf 
Ohain und weiter gegen den rechten Flügel der Franzosen. Bülow mit dem vierten 
Korps und dahinter das zweite Korps unter Pirch wendeten sich nach links, südwest- 
wärts, gegen den Rücken der französischen Aufstellung. Das schwierige Desilee des 
Lasnetals war zum Glücke vom Feinde nicht besetzt, der Bach ward überschritten, und 
gegen 4 Uhr ließ Bülow seine Truppen wohlverdeckt in und hinter dem Walde von 
Frichemont antreten; erst wenn eine genügende Macht zur Stelle war, sollte der über- 
raschende Vorstoß erfolgen. In tiefem Schweigen rückten die Regimenter in ihre 
Stellungen ein; die Generale hielten am Rande des Waldes und verfolgten mit ge¬ 
spannten Blicken den Gang der Schlacht. Als einer der Offiziere meinte, der Feind 
werde nun wohl von den Engländern ablassen und, um sich den Rückzug zu sichern, 
seine Hauptmacht gegen die Preußen werfen, da erwiderte Gneisenau: „Sie kennen 
Napoleon schlecht. Er wird gerade jetzt um jeden Preis die englische Schlachtlinie zu 
zersprengen suchen und gegen uns nur das Notwendige verwenden." 
Und so geschah es. Noch ehe die Preußen bei dem Walde von Frichemont anlang- 
ten, zwischen 3 und 4 Uhr, hatte der zweite große Angriff der Franzosen begonnen. 
Ney sprengte mit vierzehn Regimentern schwerer Reiterei auf der Westseite der 
Landstraße gegen die Vierecke der englischen Garde und der Division Alten im Zentrum 
heran. Lange wogte der Kampf unentschieden hin und her, aber das Fußvolk hielt 
unerschütterlich aus. Endlich zurückgeworfen, zog Ney auch die Kavallerie Kellermanns 
an sich, so daß er jetzt 26 Reiterregimenter zu erneutem Angriff heranführte, die größte 
Reitermasse, welche dies kriegerische Zeitalter jemals an einer Stelle tätig gesehen 
hatte. Der Boden dröhnte von dem Hufschlag von zehntausend Pferden, ein Wald 
von Säbeln und Lanzen bedeckte die Talmulde, stundenlang schwankte das Gefecht, 
zehn-, zwölfmal ward die Attacke gegen einzelne Bataillone erneuert. Nochmals 
behielt die Sündhaftigkeit des englischen und deutschen Fußvolks die Oberhand. Auch 
dieser Angriff scheiterte, die Schwadronen begannen zu weichen, ein kühnes Vorgehen 
der englischen und hannoverschen Reservereiterei brachte sie vollends in Verwirrung; 
aber auch die Sieger fühlten sich tief erschöpft. 
Auf den andern Teilen des Schlachtfeldes gestaltete sich unterdessen der Gang 
der Ereignisse weit günstiger für Napoleon. Die Division Quiot, die schon an dem 
großen Angriffe Erlons teilgenommen, ging von neuem auf der Landstraße vor und 
bestürmte die Meierei von La Haye Sainte. Dort stand Major Baring mit einem 
Bataillon von der leichten Infanterie der deutschen Legion und einigen Nassauern. 
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