82 Zweite Penode. Von 1648 bis 1789. Zweite Hälfte.
idealen Freiheit, für deren Verwirklichung „das Jahrhundert nicht reif war."
— Die „Romantiker," A. W. Schlegel (geb. 1767) und sein Bru¬
der Fr. Schlegel (geb. 1772), L. Tieck (geb. 1773), Novalis (Har¬
denberg) f 1801 2C., welche die Poesie in Leben und Wissenschaft vermißten,
wandten sich — zumal in der Zeit der Unterjochung Deutschlands — dem
Mittelalter (auch dem Katholicismus und Mysticismus) und den fremden
Literaturen zu.
Auch die Wissenschaft gelangte zu freierer und edlerer Gestaltung
und wandte sich von todter Gelehrsamkeit zu praktischer Einsicht hin. Kant's
(1724 bis 1804) kritische Philosophie, die von einem Zweifel an Allem aus-
ging, hob das Gefühl der menschlichen Würde (dem Pietismus gegenüber),
indem sie auf die unmittelbare Gewißheit und unbedingte Geltung des mo-
ralischen Bewußtseins („des kategorischen Imperativs") verwies. Auf dieser
Philosophie, welche auf alle Wissenschaften wie auf die Poesie (Schiller) mäch-
tigen Einfluß übte, bauten Fichte (f 1814), Schölling (geb. 1775, f 1854)
und Hegel (geb. 1770, f 1831) fort. In der Theologie führte sie zum
Rationalismus — obwohl Schelling's Naturphilosophie auch ein mysti-
sches Element enthielt. — In Behandlung der Geschichte weckte M öser
(i 1794) vaterländischen Sinn, Schlözer (1-1809) und Spittler (f 1810)
Freisinnigkeit; Herder faßte sie mit philosophischem Geiste auf und J o h.
von Müller (1752 bis 1809) in staatsmännischer Weise, während von
Beiden die Schönheit in der Darstellung ausging. — Ein reformatorisches
Streben trat zunächst auf dem pädagogischen Gebiete gegen die gemüth-
lose Härte der conventionellen Erziehung und die unfruchtbare Weise des
Unterrichts hervor. Mit Basedow's „Philanthropin" in Dessau (1774)
begann eine praktischere (reale) Richtung des Schulwesens; mit Recht aber
hielt man an dem Studium des klassischen Alterthums, als der Grundlage
der ganzen neueren Bildung, fest.
Alle genannten Schriftsteller gehören dem prote st antischen Deutsch-
land an; im katholischen Deutschland fehlte es bei gediegenem Wissen
an freier geistiger Auffassung, die aber auch hier einzudringen begann. Ein
Versuch der höheren katholischen Geistlichkeit, die nationale Kirchenfreiheit durch
Beschränkung des Papstthums zu begründen (in der „Emser Punctation" 1785),
blieb ohne Erfolg. In B a i e r n weckte das Streben des Kurfürsten Karl
Theodor, die crasseste Orthodoxie aufrecht zu halten, lebhaften Widerstand,
und als Gegenwirkung entstand Weishaupt's „Jlluminaten-Orden"
(1776), der eine Verbrüderung von Selbstdenkern ohne Unterschied der Religion
sein sollte, sich aber die Formen des Jesuitenordens zum Borbilde nahm; bald
zerfiel er unter sich nnd wurde 1785 als hochverräterisch aufgelöst. — Das
unbefriedigte Bedürfniß einer Geselligkeit zu praktischen Zwecken verschaffte
dem (seit etwa 1750) aus England nach Deutschland verpflanzten Frei-
maurerordeu eine große Verbreitung und derselbe half zu Annäherung
verschiedener Religionsbekenner. Das zwischen Katholiken und Protestanten
herrschende Mistrauen erzeugte die „Jesuitenriecherei", zu welcher