Rückblick. — Außerdeutsche Staaten.
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Kirchenoberhauptes besaß. Alsbald zeigten sich die Folgen der Verbindung:
die lateinische Sprache und die römischen Kunstsormen bürgerten sich noch
fester ein als zuvor; die italienischen Sorgen hinderten die Kaiser, den
deutschen Angelegenheiten ihre volle Kraft zuzuwenden; der Glanz der
römischen Krone übte einen stärkeren Reiz auf sie aus als die näher liegende
Aufgabe, das ostelbische Land für das Deutschtum wiederzugewinnen.
Neben Otto I. schien Heinrich III. der mächtigste Monarch des Mittel-
alters zu sein. Aber die Macht ruhte nur auf zwei Augen und brach nach
deren Erlöschen jäh zusammen im Kampfe mit dem Papsttum und der
Herrschsucht der Fürsten. Die Erhebung der Fürsten über das Königtum war
ein Fluch des Wahlreiches; denn aus dem Recht, den König zu wählen,
leiteten die Fürsten das Recht her, ihn abzusetzen. Doch rettete das König-
tum aus diesen Kämpfen immerhin einen wesentlichen Teil seiner Befugnisse.
Das Reich Karls des Großen war ein viele Völker umfassendes
Gesamtreich wie das Römische des Altertums; das Gefühl für nationale
Staatenbildung war noch nicht vorhanden. Aber 887 — tausend Jahre
nach dem ersten Austreten der Germanen in der Geschichte — trennten
sich endgültig Ost- und Westfranken. In dem von Heinrich I. gegründeten
Reiche weckten die rasch wachsende Macht des Königtums und die Kämpfe
gegen auswärtige Feinde das deutsche Einheitsgefühl. Zur Zeit Ottos I.
fingen die Germanen seines Reiches an, sich als Deutsche zu bezeichnen,
und waren stolz auf ihr Volkstum und ihr weltgebietendes Oberhaupt.
Trotz alledem stand die römische Kaiserkrone höher im Ansehen als die
deutsche Königskrone, und die Mönche zogen das schlechteste Latein der
reinen Sprache ihres Volkes vor.
§ 75. Auszerdeutsche Staaten.
1. Frankreich unter den ersten Kapetingern. Das Westfränkische Reich
hatte sich unter den letzten Karolingern ebenso wie früher das Ostfränkische
in selbständige Herzogtümer aufgelöst. Nach dem Erlöschen des Karolin-
gischen Hauses 987 ließ sich Hugo Capet, Graf vou Paris und Herzog 987.
von Francien, von seinen Vasallen zum König ausrufen und erlangte
teils durch Waffengewalt, teils durch Unterhandlung die Anerkennung der
übrigen Herzöge. Die Krone wurde durch Gewohnheit in seiner Familie
erblich; aber ihr Wert war gering, denn die Großen kümmerten sich wenig
um den König. Wie die deutschen Könige suchten die Kapetinger ihre Stellung
zu heben durch Anschluß an die Geistlichkeit. Zur Zeit Kaiser Heinrichs III.
brachte der durch ihre Bemühungen eingeführte Gottesfriede eine sehr
erwünschte, wenn auch keine allgemeine Besserung der verwirrten Zustände.
2. England unter angelsächsischer und dänischer Herrschaft. Wie im
5. Jahrhundert die Sachsen und Angeln ihre Fahrten über die Nordsee
nach der großen westlichen Insel gerichtet und die keltischen Briten zurück-
gedrängt hatten, so wandten sich seit dem Ende des 8. die Normannen
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