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ein Liedchen pfiff. Im Schein der Laterne, der an das Fenster fiel, sah
Gockel Hinkel an und Hinkel Gockel, und beide lachten und weinten
und fielen sich um den Hals und riefen aus: „Ach Gockel! Ach Hinkel!
wie jung und schön bist du geworden!“
Da sprach Gockel: „Alektryo hat die Wahrheit gesprochen, der Ring
Salomonis hat Probe gehalten, alle meine Wünsche, bei welchen ich ihn
drehte, sind in Erfüllung gegangen,“ und da erzählte er der Frau alles von
dem Ring und zeigte ihn ihr, und ihre Freude war unaussprechlich.
Nun liefen sie an ein anderes Fenster und sahen in einen wunder¬
schönen Garten; ein wunderlieblicher Blumenduft strömte ihnen ent¬
gegen, die herrlichsten Springbrunnen plätscherten im Mondschein, und
die Nachtigallen sangen ganz unvergleichlich dazu. Nun liefen sie an
ein drittes Fenster. „0 je, welche Freude!“ rief Frau Hinkel aus, „wir
sind in Gelnhausen, da oben liegt das Schloß des Königs und da drüben,
o zum Entzücken! da sehe ich in einer Reihe alle die Bäcker- und
Fleischerladen; es ist noch ganz stille in der Stadt, horch! der Nacht¬
wächter ruft in einer entfernten Straße, drei Uhr ist es. Ach! was wird
er sich wundern, wenn er hierher auf den Markt kommt und auf ein¬
mal unsern gräflichen Palast sieht! Und der König, was wird der König
die Augen aufreißen, und alle die Hofherrn und Hofdamen, die uns so
spöttisch nachsahen, da wir ins Elend gingen, wie werden sie gedemütigt
sein durch unsern Glanz! 0 Gockel! lieber Gockel! was bist du für
ein allerliebster, bester Mann mit deinem Ringe Salomonis!“ und da
fielen sie sich gleich wieder um den Hals.
Der Tag brach aber an und sie sahen verwundert den Glanz ihres
prächtigen Schlafgemachs und ihrer schönen, atlassenen, himmelblauen
Schlafröcke und ihrer Goldnachtmützen. Nun erinnerten sie sich in ihrer
Freude erst an Gackeleia, ihr liebstes Töchterlein, und eilten nach einem
wunderschönen Bettchen, rissen die rotsamtnen, goldgestickten Vorhänge
hinweg. Da lag Gackeleia schön wie ein Engel, ach viel schöner, als
sie je gewesen. Gockel und Hinkel erweckten sie mit Küssen und
Thränen. „Wach! wach auf! Gackeleia! Ach, alle Freude ist um uns
her! Ach Gackeleia! sieh alle die schönen Sachen an!“ Da schlug
Gackeleia die blauen Augen auf und glaubte, sie träumte das alles nur,
und da sie Vater und Mutter, welche beide so jung und schön geworden
waren, gar nicht wieder erkannte, fing sie an zu weinen und verlangte
nach ihren lieben Eltern. Ja alle die schönen Sachen konnten sie nicht
zufrieden stellen; sie sagte immer: „0, was soll ich mit all der Herrlich-