Full text: Griechisch-römische Altertumskunde

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äls die wahren und allgemeinen Gottheiten gepriesen. Allgemein 
verbreitet war auch das Heilsbedürfnis. So fand das Christentum 
den Boden geebnet; aber erst nach einem dreihundertjährigen Ringen 
mar [ein Sieg entschieden. 
B. Mythologie. 
§ 3. I. Die lNonbmythologie der mqkenisch-kretischen Seit.1) 
Die neuesten kretischen Funde sind, soweit sie in zahlreichen 
Kultbildern und -objekten vorliegen, für die griech. Religionsgeschichte 
von größter Bedeutung geworden. Sie erhärten auch inbetreff der 
Völker der mykenisch-kretischen Epoche die Tatsache, daß die Mond- 
religion gerade bei den primitivsten Völkern am tiefsten wurzelt. 
Den Mond bezeichnet schon sein Name - von der indogerma¬ 
nischen Wurzel ma „messen" - als den großen Zeitmesser aller 
Völker; er ist auch der Wettermacher. Sein bezeichnendes Symbol 
ist daher der Hahn als Stundenrufer und Wetterprophet. Als Wetter- 
machet: sendet er auch die Winde und erzeugt besonders die Feuchtig¬ 
keit und somit die Fruchtbarkeit. Sinnbild der Vegetation ist das 
blumengeschmückte Hörnersymbol (in Kreta). Zugleich ist er das himm¬ 
lische Vorbild des entzündeten und wiederverlöschenden Feuers, im 
Gegensatze zur Sonne, die nicht erlischt, sondern nur unter den Horizont 
hinabsteigt. 
Was aber das mythische Denken des griech. Urvolkes vor 
allem beschäftigte, war das rätselhafte, unerklärliche Schauspiel 
der Mondphasen und der Himmelsvorgänge zwischen Sonne 
und Mond. Reben der Dreiteilung des Mondes nach seinem Ent- 
stehen, Vollenden und Vergehen ist von größter Wichtigkeit die Zwei- 
teilung oder Doppelerscheinung desselben als lichter, zunehmender, 
segenbringender und als dunkler, abnehmender, unheilbringender Mond. 
Die Zeit der 3-tägigen Abwesenheit der Mondgottheit nach ihrer 27- 
tägigen Reise über den Himmel gilt entweder als die Zeit ihres Todes, 
ihrer Wanderung durch den Hades, und sie wird zum Tod, zum Hades 
selbst; oder das Verschwinden des Mondes in den Strahlen der Morgen- 
sonne am letzten Monatstage ist der Beginn der Vereinigung beider, 
das coniugium (Konjunktion), der legdg yv/uos, die hl. Hochzeit, die 
also in gewissem Sinne mit dem Tode des Mondes zusammenfallt; 
daher auch die auffallenden Übereinstimmungen im Hochzeits- und 
Totenkult der Griechen, die Vorschrift der Reinigungs- und Sühnbäder, 
die an einen Neumondmythos anknüpfen. — Namentlich der dunkle 
i) Die folgenden Ausführungen verdanke ich der Güte des Herrn Dr. Lev 
Heidemann (Berlin), der demnächst seine „Ethnischen und religiösen Probleme der 
griech. Urgeschichte" veröffentlicht. Vgl. außerdem E. Siecke, Urreligion der Indo- 
germanen, Drachenkämpfe, Liebesgeschichte des Himmels, Mythologische Briefe.
	        
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