Full text: Griechisch-römische Altertumskunde

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mit rücksichtsloser Offenheit zu äußern, und kein Gebot der Höflichkeit 
zwingt ihn, einem Unbekannten etwa die Ehre emes achtungswerten 
Mannes ohne weiteres zu erweisen. Diese uaturwuchftge Offenheit 
findet jedoch eine starke Einschränkung gegenüber Bittflehenden und 
Gastfreunden. Bei Bittflehenden kann man gar von einer Art Zeremoniell 
sprechen, wenn man an die Aufnahme des Odys eus bei den Phaiaken 
denkt- und einem Diomedes steht die Gastpflicht 9egermber dem noch 
nie gesehenen Gastfreunde Glaukos höher als die Pflicht des Kriegers 
aeqenüber dem bewaffneten Feinde. . . ,, 
Die körperlichen Vorzüge eines Menschen werden mindestens 
ebenso hoch geschätzt wie die geistigen. Jene sind Schönheit und Kraft. 
Schnelligkeit und Kampfeslust, überhaupt knegensche Tuchtigke t 
(desrrj) Die geistigen Vorzüge sind Klugheit und Redegewandtheit 
und zudem sittliche Scheu (fj aldag) vor allem Heiligen oder Ver- 
ehrung^tvurdigen. ^ ^reüel ^ öer Übermut (v VßQig). Wer damit 
behaftet ist, verfällt ohne weiteres auch der Verblendung (a^): quem 
deus perdere vult, eum dementat. Der Ubermut treibt zur bösen 
Tat, und die Verblendung hält die Besonnenheit fern, die von der 
bösen Tat abhalten Könnte. 
Die Freveltat wird entweder gesühnt durch den Neueschmerz, der 
sich in reuevollen Gebeten äußert und zu sühnenden Taten treibt, oder 
sie wird von den Göttern bestraft; doch findet diese Bestrafung hier 
auf Erden, nicht in der Unterwelt statt. 
Der (Eingang in die Unterwelt liegt im fernen Westen, noch tyntex 
der Stelle, wo die untergehende Sonne in den DKeanos hinabtaucht. 
Die Unterwelt wird beherrscht von Hades und Persephone; sie ist etn 
freudeloser Ort, und Achill möchte lieber der ärmste freie Mann auf 
Erden als König über alle Schatten sein. Dorthin kommen alle 
Menschen ohne Ausnahme, die guten rote die schlechten, und fuhren 
auf der Asphodelosroiesel) ein bewußtloses Schattendasein; doch Können 
sie durch den Genuß frisch vergossenen Blutes das Bewußtsein von 
ihrem früheren irdischen Leben wieder erlangen. ) 
§ 48. Erdkunde. 
Die troische (Ebene und Ithake schildert Homer offenbar nach 
dem Augenschein; zudem sind ihm die Küsten des Atgauschen Meeres 
und die Süd- und Westküste Griechenlands bis Nhake genauer be- 
Rannt; auch von Phoinikien und Ägypten Kennt er Wichtige Städte 
Im übrigen ist jedoch seine Erdkunde durchaus phantastisch. Er denkt 
1) Asphodelus ramosus, eine lilienartige Pflanze mit eßbaren Knollen, 
pflanzte man auf die Gräber zur Nahrung für die Toten. 
2) Die Vorstellung von der räumlichen Trennung der Guten und Bosen, 
fomie »LTer SeUnun99 jener und de- Seftrajung U*t I9ef,ort emer p teen 
qeu an (Somer kennt zwar ein (Einhon (rö Hlvaiov neSiov), öoq t|t oas eine 
paradlesischV Insel ^tten^im Okeanos.' wo'die Menschen wohnen, tue wegen chrer 
Verwandtschaft mit den Göttern nicht sterben können.
	        
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