107. Guido Reni, Aurora. Deckem
Eine letzte große ideale Schöpfung, gleichsam ein Nachklang der
Renaissance, ist die sog. Aurora von Guido Reni, ein Deckengemälde
von gewaltigen Abmessungen. Aus der Schule von Bologna stammend,
widmete sich Rem in Rom dem Studium Raffaels und der Antike: so
gelang ihm der große Wurf, der seinen Namen unsterblich gemacht hat.
Aurora, die „rosenfingerige", schwebt, von mächtig sich ausbauschenden
Gewändern umwallt, mit ermunternder Gebärde rückschauend dem gött-
lichen Zuge voran. Ihr folgt, vor Phöbus fliehend, Hesperos, der
Abend- und Morgenstern. Der dem Aufgang der Sonne voraufgehende
Wind weht seinen Haarschopf wie seine Fackel nach vorn. Vier gött-
liche Rosse ziehen (unter Verzicht auf jede Andeutung von Geschirr) den
emälde im Palazzo Rospigliosi, Rom.
Wagen, nur gelenkt von den Zügeln, die der blonde Götterjüngling
hält, umtanzt von dem Reigen der Hören, das Ganze ein berauschender
Hymnus auf das Licht, das von Apollos Haupt ausstrahlend sich nach
vorn mehr und mehr abtönt bis zu dem dunkeln Violett der Wolken.
Hier hebt sich gleichsam der Vorhang und enthüllt tief unten das blaue
Meer mit seinen Segeln, die Küste mit ihren Bergen und Burgen, die
der erste Frühschein rötet. So vereinigt der Künstler beides: die mythische
Auffassung der Antike, die in der Natur persönlich waltende Götter
sieht, und die natürliche Darstellung eines Sonnenaufgangs über einer
heroischen Landschaft. — Den klassischen Stil vertauschte Guido später mit
dem sentimentalen; berühmt ist sein Christuskopf in der Dresdener Galerie.