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Das Fränkische Reich und die Römische Kirche.
§30.
Ausdehnung § 30. Innere Zustände im Frankenreiche. Die Herrschaft der
des Reiche- AaMuköuige reichte vom Atlantischen Ozean bis etwa zum Böhmerwald
Bevölkerung, und vom Kanal und den Rheinmündungen bis zum Mittelmeer (Pro-
vence). In der Bevölkerung überwogen im Westen die Keltorömer, wüh-
rend die östlichen Stämme, Franken, Alamauueu, Bayern und Thüringer,
unvermischt germanisch waren.
Verfassung. Die Merowiuger waren weit davon entfernt, ihre Länder zu einem
Staatsganzen zu verbinden oder die gesamte romanische und germanische
Bevölkerung zu einer neuen Einheit zu verschmelzen. Die Abhängigkeit der
einzelnen Völkerschaften war nur lose; die Bayern z. B. behielten ihren
Herzog; sein Treueid und die jährliche Zahlung eines Zinses waren die
einzigen Zeichen seiner Unterwerfung.
Die aristokratisch-demokratische Verfassung der Urzeit, bei der das Ding
die oberste Entscheidung über die Vorschläge der Häuptlinge hatte, war in
den kriegerischen Zeiten der Völkerwanderung verschwunden, da diese eine
monarchische Leitung der Streitkräfte erforderten. Sogar bei den salischen
Franken bestand eine Versammlung des ganzen Volkes nur noch als Heerschau,
die alljährlich im März vom Könige oder seinem Beamten abgehalten wurde
Der König. (Märzfeld). Die oberste Gewalt war auf den König übergegangen, dessen An-
sehn dadurch, daß er seinen römischen Untertanen gegenüber an die Stelle des
Kaisers trat, auch bei den Germanen wuchs. Die Königswürde war erblich in
der Familie der Merowinger; ein Recht der Erstgeburt gab es nicht, sondern
nach germanischer Sitte wurde das Reich unter die Söhne geteilt. Das Ab-
zeichen der Merowinger war das lang herabwallende Haar, das der königlichen
Würde der Speer; auf einem mit Ochsen bespannten Wagen fuhr der König zur
Volksversammlung; eine feierliche Erhebung auf den Schild kannte man nach
550 nicht mehr. Der König bot das Heer auf und hielt Gericht ab. Das
wichtigste Recht, das ihm zustand, war das des Bannes, d. h. das Recht,
Verordnungen, sei es allgemeiner Natur, sei es für besondre Fälle, zu erlassen
und die Strafe des Königsbannes (60 Solidi) auf ihre Nichtbefolguug zu setzen.
Da der Banngewalt des Königs keine gesetzliche Schranke gezogen war, konnte
sie in alle Gebiete des Lebens, sogar in private Rechte eingreifen. Seine
Einkünfte bestanden in den Erträgen der Königsgüter (Domänen), den
Steuern und Zöllen, die er von den römischen Untertanen ebenso wie von
den bis dahin steuerfreien Franken erhob, den Gerichtsbußen und freiwilligen
Geschenken der Germanen.
Die Grafen. Der König übte seine Gewalt durch die Grafen aus, die er selbst
ernannte. In den gallorömischen Gebieten fiel die Grafschaft mit der
civitas, d. h. ber Stadt samt der sie umgebenden Landgemeinde, zusammen,
während sie sich in ben germanischen Reichsteilen in der Regel mit dem
(alten) Gau deckte. Die Grafen schalteten als die Vertreter des Königs mit
großer Selbständigkeit. Sie Beriefen bie Freien zum Heere unb führten sie
dem Könige zu. Wie sie bie Befehlshaber waren, so waren sie bie Vor¬
sitzenben bes Volksgerichtes, bessert Tätigkeit sich freilich meist auf die Zu¬
stimmung zu bem Urteilsvorschlag bes Grafen unb eines rechtskunbigen Aus-
schusses beschränkte. Die Entscheidungen waren schon zum großen Teil bnrch
die schriftlich fixierten Volksrechte, z. B. das falifche und ripuarifche Gesetz,
gebunden.