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Die Pariser Conferenz hatte zwar die Oberherrlichkeit
der Pforte über Serbien bestätigt, aber die innere Selbst-
ständigkeit des Landes zugesichert. Nach dem Tode des Für-
ften Milosch (Sept. 1860) folgte fein Sohn Michael. Da
dieser mit der europäischen Civilisation durchaus vertraut
war, so ging sein Streben darauf aus, Serbien in jeder Be-
ziehung zu heben. Indessen führte das Ringen der Serben
nach Unabhängigkeit von den Türken und der gegenseitige
Haß zu einem blutigen Ereigniß. Im Juni 1862 kam es
in der Stadt Belgrad, als der Fürst gerade aus einer Reise
begriffen war, zwischen Türken und Serben zu einem Kampfe,
in dem die ersteren genöthigt wurden, sich in die Citadelle
zurückzuziehen, dann aber die Stadt zwei Tage lang bom-
bardirten. Da sich ganz Serbien gegen die Türken zu erheben
schien, so traten die Gesandten, die den Pariser Vertrag unter-
zeichnet hatten, zu einer Conferenz zusammen (4. Sept.), der
zufolge die Türken die Stadt Belgrad verlassen mußten.
Am 24. August 1864 eröffnete Fürst Michael bie serbische
Ständeversammlung, bie ihm ihr unbegrenztes Vertrauen
aussprach. *)
Die Errichtung bes Königreichs Griechenlanb hatte unter
ben Griechen bie Hoffnung, bereinst im füböstlichen Europa
ein Reich ihrer Nation mit Konstantinopel als Hauptstabt er¬
stehen zu sehen, von Neuem belebt. Die Verwirklichung biefer
„großen Jbee", wie bie Griechen ihr politisches Ziel nennen,
verlangten sie von König Otto. Wenn er auch bie Sym¬
pathie für biefelbe theilte, so konnte er boch bie übertriebenen
*) Fürst Michael wurde am 18. Juni 1868 in der Nähe von
Belgrad ermordet. Es folgte ihm Fürst Milan. Der Thron ist der
Verfassung nach erblich, die gesetzgebende Gewalt getheilt zwischen dem
Fürsteil und der Nationalvertretung (Sluptschina), zwischen beiden steht
ein beruhender Senat.
In Montenegro hören die Streitigkeiten zwischen den Einwoh-
nern und den Türken kaum auf, da die Montenegriner sich für nnab-
hängig halten, die Türken das Ländchen als einen Theil ihres Reiches
betrachten. Im August 1860 wurde Fürst Danilo von einem Monte»
negrincr tödlich verwundet, worauf fein Neffe Nicolaiis als Fürst
folgte. Streitigkeiten mit den Türken seit 1862 wurden 1864 für den
Augenblick beigelegt.