Die Germanen.
9
meinschast^) oder, wenn auf verschiedene Dörfer verteilt, als Mark-
genossenschaft^) nahe beieinander wohnten. Mehrere verwandte
oder benachbarte Dorf- bzw. Markgenossenschaften hatten in der Regel
einen Gau (pagus) inne, mehrere Gaue schlössen sich dann zu einer selb-
ständigen Völkerschaft (civitas) zusammen. Neben dieser örtlichen Ein-
teilung gab es von jeher auch eine persönliche, die vornehmlich Heeres¬
und Gerichtszwecken diente. Nach ihr zerfiel eine Völkerschaft in Tausend-
s ch a f t e n (vgl. die römischen Tribus), eine Tausendschast wieder in
Hundertschaften (vgl. die römischen Centurien); näher bekannt^) sind nur
die Hundertschaften (als spätere Unterabteilungen der Gaue). Sie um-
faßten ursprünglich wohl je 100 Familien, bzw. deren erwachsene freie
Männer, bildeten im Kriegsfall kleine geschlossene Tmppenkörper, regelten
im Frieden die Verteilung der Ackerflur, soweit diese Gemeinbesitz der
betreffenden Hundertschaften war, und übten in Verbindung mit dem
Gaufürsten die Rechtspflege innerhalb ihrer eigenen Kreise.
An der Spitze eines Gaues stand der Gaufürst (furisto — der Vor¬
derste) oder Häuptling. Er stammte meist aus adeligem Geschlechte, wurde
auf Vorschlag der Gaugenossen in der Völkerschaftsversammlung auf Lebens-
zeit gewählt, hatte den Vorsitz bei den Gau- und Hundertschaftsgerichten
und befehligte im Kriege den Heerbann, d. h. das bewaffnete Aufgebot
des Gaues. Die Einkünfte des Fürsten bestanden im Ertrage seines Grund
besitzes, in einem bestimmten Anteil an der Kriegsbeute und an den Straf
geldem sowie in freiwilligen Geschenken der Gaubewohner. — Die öffent¬
lichen. Angelegenheiten einer Völkerschaft fanden ihre Erledigung durch
den aus sämtlichen Gaufürsten bestehenden Fürstenrat; minder
wichtige Dinge entschied er selbständig, besonders ernste unterbreitete
er zur Beschlußfassung der allgemeinen Völkerschaftsoersammluug. Um
im Kriegsfall eine einheitliche Leitung zu erzielen, stellte man den tüchtigsten
der Gaufürsten als Herzog (vgl. den griechischen ßaadevg und den römi¬
schen praetor) an die Spitze der Völkerschaft; doch erlosch sein Amt mit
Beendigung des Krieges. — Bei den ostgermanischen Stämmen, in der
1) Doch war die reine Geschlechterverfassung schon in der Zeit des Tacitus mit
einer lokalen vermischt, d. h. in einer Dorf- oder Markgenossenschaft wohnten nicht aus-
schließlich unmittelbare Blutsverwandte beieinander; es trat also die Verwandtschaft
hinter die Nachbarschaft zurück.
2) Das Wort „Mark" bedeutet zunächst „Grenze", d. h. einen unbebauten breiten
Grenzstreifen, dann später das von der Grenze umschlossene oder das an der Grenze
liegende Gebiet.
8) Die Nachrichten über die politischen Verhältnisse der alten Germanen sind sehr
unsicher und lückenhaft; wahrscheinlich fiel nach der Seßhaftmachung die persönliche
Gliederung mit der örtlichen insofern zusammen, als die Völkerschaft jeder Tausendschaft
einen Gau, diese wieder jeder Hundertschaft eine Mark zuwies.