Object: Deutsches Lesebuch ([Teil 3, [Schülerbd.]])

8. Die lvichtelmänner. 
Es war ein Schuster ohne seine Schuld so arm geworden, 
daß ihm endlich nichts mehr übrigblieb als Leder zu einem 
einzigen paar Schuhe. Nun schnitt er am Abend die Schuhe 
zu; die wollte er den nächsten Morgen in Arbeit nehmen, 
und weil er ein gutes Gewissen hatte, so legte er sich ruhig 
zu Bett, befahl sich dem lieben Gott und schlief ein. Morgens, 
nachdem er sein Gebet verrichtet hatte und sich zur Arbeit 
niedersetzen wollte, so standen die beiden Schuhe ganz fertig 
auf seinem Tische. Tr verwunderte sich und wußte nicht, was 
er dazu sagen sollte. Tr nahm die Schuhe in die Hand, um sie 
näher zu betrachten; sie waren so sauber gearbeitet, daß kein 
Stich daran falsch war, gerade als wenn es ein Meisterstück 
sein sollte. Bald darauf trat auch schon ein Käufer ein, und 
weil ihm die Schuhe so gut gefielen, so bezahlte er mehr als 
gewöhnlich dafür, und der Schuster konnte von dem Gelde 
Leder zu zwei paar Schuhen erhandeln. Tr schnitt sie abends 
zu und wollte den nächsten Morgen mit frischem Mute an die 
Arbeit gehen; aber er brauchte es nicht; denn als er aufstand, 
waren sie schon fertig, und es blieben auch nicht die Käufer 
aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er Leder zu vier paar 
Schuhen einkaufen konnte. Tr fand frühmorgens auch die vier 
paar fertig, und so ging's immerfort; was er abends zuschnitt, 
das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder sein 
ehrliches Auskommen hatte und endlich ein wohlhabender Mann 
ward. Nun geschah es eines Abends nicht lange vor Weih¬ 
nachten, als der Mann wieder zugeschnitten hatte, daß er vor 
Schlafengehen zu seiner Hrau sprach: „Wie wär's, wenn wir 
diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hülfreiche 
Hand leistet?" Die Zrau war's zufrieden und steckte ein Licht 
an; darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den 
Kleidern, die da aufgehängt waren, und gaben acht. Als es 
Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Männlein, 
letzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene
	        
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