Full text: Geschichte des Mittelalters und der Reformationszeit (Teil 8)

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sich auf den Gockel einer Kirchturmspitze und ließ sich hier ein Weilchen 
hin und her schaukeln. 
Mit einem mächtigen Purzelbaume hüpfte es fort, und im nächsten 
Augenblicke saß es ganz ruhig auf den magern Fingerchen eines kleinen, 
bleichen Mädchens, das in einem ärmlichen Bettchen lag. Über das 
Antlitz des kranken Kindes flog ein Lächeln, und dankbar betrachtete es 
den kleinen, zitternden Sonnenschein, der so ganz plötzlich durch das ge— 
schlossene Fenster hereingekommen war. „Sieh nur, Elschen, das Sonnen— 
scheinchen,“ flüsterte die Mutter des Mädchens, „halte es sest, es tut dir 
gut!“ Sonnenscheinchen blieb aber ganz von selbst geduldig bei der 
Kranken und diesmal sehr, sehr lange, so lange, daß es das Kind ein— 
schlafen und später mit geröteten Bäckchen wieder erwachen sah. Da kam 
sich Sonnenscheinchen ganz wichtig und unentbehrlich vor. Es dehnte 
und streckte sich vor Stolz und wurde lang und immer länger, bis es 
schließlich Händchen, Hals und Gesicht des kranken Mädchens ganz bedeckte. 
Die Mutter stand jetzt auf und zog einen Vorhang vors Fenster; Sonnen⸗ 
scheinchen aber küßte den genesenden kleinen Engel noch einmal schnell 
und eilte hurtig davon. 
4. Ohne zu wissen, wie es dahin gekommen war, saß es plößzlich 
inmitten eines dunkeln Buchladens, wo viele große und kleine Bücher 
lagen und standen, und tanzte auf ihnen herum. Aber bald hielt es 
inne, denn mit großem Gepolter rollte eine hölzerne Wand vor die ge— 
geschlossene Ladentür, und — Sonnenscheinchen war gefangen. 
„Ich will jetzt schlafen gehen“, lispelte es mit seinem dünnen, müden 
Stimmchen vor sich hin und betrachtete die Bücher genauer, um sich ein 
recht schönes als Bettchen zu suchen. Da lagen dicke und dünne, weiße, 
rote und blaue, auch vergoldete, mit schönen Bildern. Ganz in der Ecke 
aber lag ein Büchlein, das vor Langeweile hintenübergefallen war, und 
als Sonnenscheinchen neugierig näher zusah und blätterte, potztausend, 
was für ein Schreck! Da stand gleich vorn deutlich und schön zu lesen: 
„Das Sonnenscheinchen!“ Das war es ja selbst! Sonnenscheinchen las 
und las und wurde traurig bei den Unarten und wieder heiter bei den 
guten Taten, die es von sich las, und hoch und teuer schwur es, von 
Stund' an nur noch Gutes zu tun. Vom Lesen müde, schlief es auf 
seinem Büchlein bald ein. 
Als es am nächsten Morgen erwachte, war es schon heller, lichter 
Tag, und Sonnenscheinchen putzte sich blank und tanzte lustig davon, die 
Ohlauer Straße hinunter, um sein Tagewerk zu beginnen. 
Ob sich Sonnenscheinchen an seinen guten Vorsatz von gestern noch 
erinnert hat? HQeinz von Hardenberg.
	        
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