Full text: Bilder zur Kunstgeschichte der neueren Zeit ([Teil] 6, Bilderanh)

-- Das Gewandhaus (Tuchhalle) zu SBraunfchroetg. 1590. 
Hber die gotische Bauweise wurzelte in Deutschland doch zu fest 
im Herkommen, als daß sie in dem, was ihre Stärke ausmachte, in ihren 
konstruktiven Elementen, hätte aufgelöst werden können. Dazu kam, daß 
das neue Formengesetz in Deutschland zuerst von den dekorativen Klein- 
fünften, dem Holzschnitt und Kupferstich, dem Buchschmuck, der dekora¬ 
tiven Malerei (H. Holbein d. I.), dann aber auch von dem hochentwickelten 
Kunsthandwerk als Schmuckform mit Begierde ergriffen und frei um- 
gestaltet worden war: erst von da ward es auf den Steinbau übertragen. 
So kommt es, daß der architektonische Scheinausbau handwerklicher Er- 
zeugnissewie Türen und Schränkefür dieAußendekoration des Steinbaues 
vorbildlich wird, und daß Schmuckformen, die für ein anderes Material, 
Holz, Leder, Metall, erfunden waren, nun sozusagen in Stein übersetzt 
wurden. So entsteht, dem freien Spiel einer überquellenden Phantasie Tür 
und Tor öffnend und wiederum von ihr getragen die eigentümliche For- 
menfprache der deutschen Renaissance. Beispiel 2: Gotisches Haus mit 
hohem Treppengiebel (vgl. II 39) in die Renaissancesprache übersetzt. 
Wie gliedert sich der Aufbau horizontal ? Wie vertikal ? Wie sind die Giebel- 
treppen ausgefüllt? Wo findet sich naiverweise noch gotisches Maßwerk? 
Heben die Bauten des aufstrebenden Bürgertums (Rathäuser, Zunft- 
Häuser, Privathäuser) tritt der Schloßbau der Fürsten. Als Krone der 
deutschen Renaissance gilt mit Recht der 1693 von den Franzosen zerstörte 
Otto-Heinrichsbau des pfalzgräflichen Schlosses zu Heidelberg. Auf 
hohem Sockel mit Freitreppe erhebt sich die dreigeschossige, durch Pilaster 
(oben Halbsäulen) verschiedener Ordnung in fünf sog. Traveen geglie- 
derte Schauseite von rotem Sandstein, die beiden geraden Traveen ehe- 
mals durch Giebel bekrönt, die mittlere im Erdgeschoß durch ein karyatiden¬ 
geschmücktes Prachtportal ausgezeichnet. Die Höhe der Stockwerke nimmt 
nach oben zu ab (vgl. II 45). Gesimse, Pilaster, die streng architektonisch 
gegliederten Doppelfenster sind reich geziert. Zwischen den Doppelfenstern 
Nischen mit Statuen, eine Mischung antiker und christlicher Elemente, wie 
sie der Humanismus liebte: im Erdgeschoß Männer der Kraft: Jofua, 
Samson, Herkules, David; im I. Obergeschoß Allegorien: Glaube, Liebe, 
Hoffnung, Gerechtigkeit und Stärke; im 2. heidnische Gottheiten: Saturn, 
Mars, Venus, Merkur, Diana; ehemals in den Giebelnischen, heute frei- 
stehend der Sonnengott und Jupiter.
	        
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