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Erstes Kap. Geschichte des römischen Reiches. 
§. 7. Casus, Claudius, Nero. 
Casus (Caligula), Germanicus Sohn, wurde von den Prätoria¬ 
nern zum Imperator ausgerufen. Der Senat und das Volk — des Vaters 
gedenkend — erkannten ihn mit Freude. Aber, nach kurzer Täuschung durch 
verstellte Güte, erblickten sie in ihm ein Ungeheuer ohne Gleichen, das alle, 
selbst widerstreitende, Laster vereinte, und bei welchem blos zweifelhaft war, 
ob Grausamkeit ober Verworfenheit oder Unsinn vorherrsche*). Er verhielt 
sich zu Tiber, wie dieser zu August, und schien nur darum zu regieren, um 
der Welt zu zeigen, „was Alles die Menschen sich gefallen lassen." (Joh. 
v. Müller). Und nicht das Volk, nur einige Einzelne, Cassius Chärca 
an der Spize, erhoben sich gegen den Unmenschen und tödteten ihn (41). 
Der Senat, im Taumel der Freude, vermaß sich, die Wiederherstellung 
der Freiheit und die Verwünschung der Cäsarn zu dekretiren. Aber noch be¬ 
stand er aus denselben Menschen, deren Feigheit selbst einem Tiberius zum 
Ekel gewesen, und in Tagesfrist ward ihm gelehrt, daß nicht er, sondern 
die prätorianische Garde Herr des Reiches sey. Noch immer war dieselbe 
dem Cäsar'schen Hause ergeben. Also erhielt Claudius den Thron, des 
Casus Oheim, gleich schwach an Leib und Seele, von der Geburt an eine 
elende Menschenfigur, woran, nach seiner eigenen Muttter Ausdruck, die 
Natur zur Stümperin geworden. Zitternd hatte er sich bei dem Ausbruche 
des Tumultes hinter einen Vorhang verkrochen; da ersahen ihn einige plün¬ 
dernde Prätorianer, zogen ihn hervor und riefen ihn zum Imperator aus. 
Ein Geschenk an die Soldaten und der Einfluß des damals in Nom anwe¬ 
senden Herodes Agrippa, Königs der Juden, befestigte die Ernennung. 
Jezt wurden die Mörder des Casus hingerichtet, und eine Regierung begann, 
deren Schmach stolzen Gemüthern noch unerträglicher, als die Schrecken des 
Casus schien **). Zum erstenmal sah die Gebieterin der Welt sich ganz offen¬ 
bar von liederlichen Weibspersonen und verworfenen Freigelassenen niederge¬ 
treten; bei aller Gutmüthigkcit des Kaisers übten jene in seinem Namen eine 
') Da ein solcher Charakter kaum begreiflich ist, so schreibt man seine Unthaten einer 
durch Krankheit bewirkten Verrücktheit zu. 
**) Daher die, wiewohl fruchtlose, Empörung des Befehlshabers in Dalmatien, 
Camillus, deren Geschichte durch die Großthat der heldenmüthigen Arria verherrlichet ist.
	        
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