Vorrede. XI
dunkle Episode vor meiner Erinnerung. Eines Tages kam jener Vicar, der
mich einst in seine Lehrstunden aufgenommen hatte, aber bald nach einem anderen
Städtchen versetzt worden war, nach Bergzabern und versammelte seine ehemaligen
Schüler, so viele sich deren gerade in dem Orte befanden, um sich. Er erkundigte
sich mit aufrichtiger Theilnahme nach ihren bisherigen Erlebnissen und künftigen
Plänen. Als er von mir vernahm, wie schwierig und unsicher meine Lage und
Zukunft sei, sprach er mit einiger Feierlichkeit: Vertraue auf Gott, Georg, er
wird dich nicht verlassen. Bald nachher hörte ich, daß er sich in Straßburg in
die Jll gestürzt habe. Er war nach Bergzabern gekommen, um noch einmal
Worte der Liebe auszutauschen; das Gottvertrauen, das er mir so warm empfahl,
war aus seiner eigenen Seele entschwunden. Elsässer von Geburt, war er nach
Bayern übergesiedelt und hatte das Jndigenat erhalten. Mangel an Beförderung
und widrige Lebensschicksale hatten ihn muthlos gemacht. Er trug schon den
verzweifelten Entschluß in sich, als er noch einmal wie ein Schatten an den
Wenigen vorüberzog, die seinem Herzen näher gekommen waren. Mir ist diese
Scene unvergeßlich geblieben. Ich habe in meinem Leben mehrmals die Er¬
fahrung gemacht, daß in kritischen Momenten, wo die Zukunft sternenlos schien,
sich eine unerwartete Hülfe einstellte. In jedem Menschendasein zeigen sich
geheimnißvolle Kräfte, die sich aller Berechnung und Voraussicht entziehen,
Wirkungen einer unbegreiflichen Vorsehung. Wie oft ist mir das alte Kirchen¬
lied in Sinn gekommen:
Wer nur den lieben Gott läßt matten,
Und auf ihn hoffet allezeit,
Den wird er wunderbar erhalten,
In aller Noth und Traurigkeit.
Und auch diesmal sollte sich das Gottvertrauen bewähren, auf das mich der
unglückliche Mann hingewiesen. Auf Anregung des Decans, bei dem ich einst
Schreiberdienste versehen, wurde von einigen Beamten und wohlhabenden Bürgern
eine kleine Summe zusammengeschossen, die mir die Fortsetzung der Studien
ermöglichte. Ein Schulfreund, der sich nach Heidelberg begab, miethete mir ein
kleines Zimmer neben dem seinigen um geringen Preis. In der Musenstadt
am Neckar, wo, wie ich schon beim ersten Blick erkannte, „Alles einen großen
Schnitt hat", hoffte ich wieder Gelegenheit zu Privatstunden zu finden, die ich
in dem kleinen Erlangen mit seinen vielen dürftigen Studenten der Theologie
nicht zu erhalten vermocht hatte.
So kam ich denn Anfangs November 1829 in Heidelberg an. Bei der
Jmmatriculation wurde ich durch ein Versehen oder Ueberhören des Actuars
als „Sorgweber" eingeschrieben, ein Fehler, den man fast als Ironie, als humo¬
ristischen Zufall des Schicksals auffassen könnte. In Heidelberg, wo ich mich
meinem Vorhaben gemäß, dem Studium der Philologie und Geschichte zuwandte,
fand ich besonders in K. F. Hermann den rechten Führer. Mit einem Umfange
des Wissens, wie er sich selten in Einem Gelehrten vereint sindet, verband
Hermann eine anregende Lehrgabe, eine begeisterte und begeisternde Liebe für die
Alterthumswissenschaften und ein warmes Herz voll Wohlwollen und Menschen¬
liebe. Ich war nur Einer unter Hunderten, die in Hermann ihren Lehren